Analyse Barsanis Rückzug baut Spannungen ab

Erbil · Der Kurdenführer war für viele politische Konflikte verantwortlich - auch im eigenen Lager.

Der Druck auf Massud Barsani war dann doch zu groß. Nun hat der Kurdenpräsident seinen Rückzug erklärt. Seine Befugnisse sollten auf die Kurdische Regionalregierung (KRG), das Parlament und die Justiz übertragen werden, gab er als Vermächtnis an. Der 71-Jährige ließ eine Erklärung durch einen Vertreter der KRG im Regionalparlament in Erbil verlesen, wo die Volksvertreter am Sonntag zu einer Sondersitzung zusammengekommen war. Zuletzt waren die für den 1. November angekündigten Präsidenten- und Parlamentswahlen in Irak-Kurdistan verschoben worden.

Barsani und seine Kurdisch-Demokratische Partei haben sich verschätzt. Am 25. September ließen sie ihre Landsleute über ein unabhängiges Kurdistan abstimmen, einen eigenen kurdischen Staat. Dabei beschränkte sich die Volksabstimmung nicht auf die vier kurdischen Provinzen Erbil, Dohuk, Suleimanija und Halabdscha, die ohnehin schon weitgehende Autonomie genießen. Barsani ließ auch dort abstimmen, wo seit dem Blitzkrieg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Sommer 2014 die kurdischen Peschmerga-Soldaten die Kontrolle übernommen hatten. Dazu gehören Kirkuk und auch Tuz Khurmatu, eine 60.000-Einwohner-Stadt in der Provinz Salahaddin, etwa 80 Kilometer von der Ölstadt Kirkuk entfernt. Diese umstrittenen Gebiete waren vor dem IS unter der Verwaltung Bagdads. Fortan sollten sie kurdisch verwaltet werden. Mit dieser "Eingemeindung" würde das Territorium Kurdistans um 40 Prozent ausgedehnt.

Barsanis Kalkül, die Gunst der Stunde nach der weitgehenden Vertreibung des IS zu nutzen und sein lang gehegtes Ziel eines Kurdenstaates voranzutreiben, ging nicht auf. Denn nicht nur die internationale Gemeinschaft probte den Schulterschluss mit Bagdad, sondern auch die Spannungen innerhalb der kurdischen Parteien und Organisationen haben dadurch dramatisch zugenommen. Es hieß nicht mehr nur Erbil gegen Bagdad, sondern auch Erbil gegen Suleimanija, Kurdenführer Barsani gegen die Anhänger des verstorbenen Kurdenführers Dschalal Talabani und seiner Patriotischen Union Kurdistans (PUK).

Barsanis Mandat als Präsident endete eigentlich bereits 2013 nach zwei Amtsperioden, wie es die kurdische Regionalverfassung vorschreibt. Das Parlament hatte es dann um zwei Jahre verlängert. Als Barsani eine zweite Verlängerung anstrebte, kam es in der Volksvertretung zum Eklat. Die Oppositionspartei Goran und auch Teile der PUK wollten der Verlängerung nicht zustimmen und forderten Barsani auf, zurückzutreten und den Weg für einen Nachfolger freizumachen. Doch der dachte nicht daran. Er entmachtete das Parlament, indem er den oppositionellen Abgeordneten den Zugang verweigerte, warf die Goran-Politiker aus der Regierung und ließ den Parlamentspräsidenten aus Suleimanija nicht mehr nach Erbil einreisen. Begründet wurde dies alles mit dem Kampf gegen den IS, der bis vor wenigen Monaten weite Teile auch im Norden des Irak kontrollierte.

Ob sein Rückzug die innerkurdischen Konflikte lösen wird, ist allerdings fraglich. Sicher dagegen ist, dass die Spannungen zwischen Erbil und Bagdad dadurch abgebaut werden.

(RP)
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