Von der Leyen besucht Bundeswehr Schulterschluss im Krieg gegen den Terror

Incirlik · Ursula von der Leyen besucht die Bundeswehr-Einsatzkräfte auf ihrer Syrien-Mission. Bei der Visite vor Ort wird deutlich, zu was für einem politischen Drahtseilakt die Aufklärungsfotos der deutschen Tornados führen könnten.

 Von der Leyen beim Besuch der Truppe.

Von der Leyen beim Besuch der Truppe.

Foto: ap

"Brandenburg" und "Berlin" zeigt das Display beim Start der Regierungsmaschine mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. "Adana" und "Aleppo" stehen dort drei Stunden später bei der Landung. Es ist ein Flug vom grünen Tisch in die Syrien-Mission. Und was die Bundeswehr hier macht, wird auch nicht bemäntelt. "Wir sind hier nicht im Pfadfinderlager, das ist ein Kriegseinsatz", sagt Oberstleutnant Gero von Fritschen. Seit knapp zwei Wochen machen die Deutschen mit. Bis gestern lieferten sechs deutsche Tornados von 34 Flügen gestochen scharfe Aufklärungsbilder aus Syrien, betankte ein deutscher Airbus in der Luft 33 Jets der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.

Für die Ministerin ist es zugleich ein Flug zum Schulterschluss. Wiewohl ihre Jets nur Waffen zur Selbstverteidigung dabei haben und sich nicht direkt an den Bombardierungen beteiligen, ist sie in den innersten Kreis der Länder aufgenommen worden, die im Kampf gegen den Daesch, wie im angloamerikanischen Kommando der IS heißt, mit besonderem Engagement zur Sache gehen. Und deshalb gefällt von der Leyen auch ein Wort besonders. Es ist das "Wir". "Wir werden uns dem Terror nicht beugen", sagt sie. Und: "Wir sind gemeinsam hier, um die Fluchtursachen zu bekämpfen." Und vor allem spricht sie von "unserem gemeinsamen Kampf gegen den Terror".

Natürlich haben die deutschen Piloten ein "mulmiges Gefühl", schildert Kommodore Michael Krah, wenn sie über IS-Gebieten fliegen und die Bilder vom gefangengenommen jordanischen Piloten vor Augen haben, den die Dschihadisten zu Tode quälten. Die "meisten" IS-Waffen erreichen die Flughöhe der deutschen Jets ab 3000 Metern nicht. Aber einige schon, und deshalb seien die Besatzungen vorbereitet, können Täuschkörper auslösen - und sich im Notfall an eine amerikanische "Rettungskette" klammern, die binnen drei Stunden die Kameraden raushauen soll.

Es ist nicht nur diese ständige Gefahr, die zu den Problemen des Einsatzes gehört. Das wird klar, als nacheinander die deutsche Verteidigungsministerin und ihr türkischer Amtskollege Ismet Yilmaz den Kampf gegen den Terror beschwören. Von der Leyen spricht dabei stets vom IS, Yilmaz bleibt allgemein, sagt sogar, die Entschlossenheit sei wichtig, "egal unter welchem Namen der Terror ausgeübt wird". Da sind sie, die in Deutschland weit verbreiteten Befürchtungen, deutsche Aufklärungsbilder könnten den Türken ihre tödlichen Angriffe auf kurdische Stellungen erleichtern. Von der Leyen zeigt sich davon überzeugt, dass das nicht passieren kann. Sie verweist auf "Red Car Holders" an zwei Stellen, also deutsche Verbindungsoffiziere, die die rote Karte ziehen, wenn es Aufträge gibt, die erkennbar nichts mit dem Anti-IS-Felfzug zu tun haben. Oder wenn die Bildauswerter in Incirlik auf den Fotos etwas entdecken, das die Grenzen des Bundestagsmandates verlässt.

Aber was bedeutet das konkret? Gerade ist neues Bildmaterial eingegangen. Morgens und nachmittags starten die deutschen Jets, fliegen zu den vom Hauptquartier in Katar angegebenen Sektoren, und schon 100 Kilometer vor der Landung treffen die elektronischen Bilder über einen Datenlink bei den Auswertern in Incirlik ein. Sie sollen mitteilen, ob eine bestimmte Straße in Syrien befahrbar ist. Und liefern umgehend die Information, dass nördlich und südlich eines Dorfes zwei Straßensperren existieren und wie man diese umfahren kann. Die Vergleichsbilder der Infrarotkamera bestätigen die optische Wahrnehmung, dass auch im Verborgenen keine Kämpfer bereit liegen. Die Analysen sehen zudem eine etwas zurückliegende Moschee. Und auch die kommt in Katar in die Angriffsplanungen: als Objekt, das gemieden werden muss. So sei die deutsche Aufklärung auch wichtig, um zivile Opfer zu vermeiden, unterstreicht von der Leyen.

Der Kommodore bestätigt jedoch auch, dass alle deutschen Bilder selbstverständlich allen aktiven Mitgliedern der Koalition zur Verfügung gestellt werden. Also auch den Türken. Und was die Auswerter an Details liefern, erschließt sich ihnen im Gesamtzusammenhang nicht immer. Da müssen sie sich schon darauf verlassen, dass die Rote-Karten-Inhaber die kritischen Aufträge, etwa in Kurdengebieten, abwehren. Wenn sie eine schwarze Fahne mit dem einschlägigen IS-Schriftzug erkennen, ist eindeutig, gegen wen es hier geht. Aber manchmal geht es nur darum, ein großes Gebäude nebst Infrastruktur aufzuklären. Dann stehen hinter den Antworten doppelte Fragen. Wie dick sind die Mauern? (Welche Bombe ist also nötig?) Wie viele Stockwerke hat es? (Wie viele Bomben werden benötigt?) Wo sind die Fenster? (Wie müssen Präzisionswaffen programmiert werden?)

Von der Leyen zeigt sich beeindruckt, was die Bundeswehr binnen fünf Wochen aus dem Nichts gestemmt hat: 150 Container und tausend Tonnen Material von Deutschland in die Türkei fliegen und fahren, um schon seit dem 8. Januar voll in den Anti-Terror-Kampf integriert zu sein. In Vierer-Belegung haben 220 Bundeswehrsoldaten veraltete und abgenutzte Wohncontainer spanischer Kameraden übernommen. Bislang haben sie nur die Duschvorhänge ersetzt. Von Verhältnissen wie bei den Amerikanern, die teilweise mit ihren Familien in festen Unterkünften auf der 13 Quadratkilometer großen türkischen Basis leben, können sie nur träumen.

Und sie fahren auch nur zu Ministerbesuchen ins nahe gelegene Adana. Sie müssten sicherheitshalber die Uniform gegen Zivilklamotten tauschen und sich auf nervtötende Eingangskontrollen einstellen. Natürlich weiß der IS, von wo Bomber und Aufklärer starten, und so wurden im Raum Incirlik auch schon zahlreiche Attentatsversuche aufgedeckt. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen.

Die Deutschen treffen auf eine Türkei, die offenbar umdenkt. Anfangs an Erfolgen des IS im Kampf gegen das Assad-Regime interessiert, kommt sie nun zu der Erkenntnis, dass der IS die ungleich größere Bedrohung ist. Gerade haben die Sicherheitskräfte ein geplantes IS-Attentat verhindert, das Silvester Hunderte von Türken in Ankara töten sollte, eine Reihe weiterer konnten in anderen Städten unterbunden werden. Aber nicht der Anschlag in Istanbul, dem zehn deutsche Touristen zum Opfer fielen. Minister Yilmaz drückt von der Leyen das tief empfundene Mitleid aus.

Es ist ein Schulterschluss im Kampf gegen den IS. Es ist einer in der Trauer um Terroropfer. Und es ist einer, der auch der Lösung des Flüchtlingsproblems gilt. Der Türkei auf Augenhöhe und mit konkreter Unterstützung begegnen, lautet hinter dem offiziellen Programm die Botschaft - um den Boden zu bereiten, in Sachen Flüchtlingen voran zu kommen. Keine 24 Stunden später sehen sich von der Leyen und Yilmaz deshalb bei den deutsch-türkischen Regierungskonsultationen in Berlin wieder.

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