Victoria Woodhull Diese Frau wollte erste US-Präsidentin werden

New York · Die "New York Times" nannte sie einen "weiblichen Napoleon": Victoria Woodhull war eine wilde, faszinierende Frau, die ein atemberaubendes Leben führte und 1872 als erste Frau für das Präsidentenamt in den Vereinigten Staaten kandidierte.

 Victoria Woodhull führte ein aufregendes, atemberaubendes Leben.

Victoria Woodhull führte ein aufregendes, atemberaubendes Leben.

Foto: Verein "Korschenbroich liest"

Gegen sie ist Hillary Clinton eine graue Maus. Gegen jene Frau, die als Amerikas erste Präsidentschaftskandidatin nach dem höchsten Amt im Staate griff: Victoria Woodhull (1838-1927). Ihre Lebensgeschichte liest sich dann auch in groben Zügen fast wie eine typisch amerikanische, wie die vom Tellerwäscher zum Millionär.

Tatsächlich beginnt sie recht weit unten: Als siebtes von zehn Kindern wächst Victoria in einer Familie auf, die eigentlich nirgends gern gesehen ist. Eine asoziale Sippe, für die Moral und Ehrlichkeit eher hinderliches Gedöns bei ihren vielfältigen Geschäften ist. Die Eltern - Annie und Buck Claflin - pflegen ein Geschäft mit diversen Betätigungsfeldern. Spiritismus und Wahrsagerei gehören dazu, Prostitution, Lehrstunden im "Kult der Liebe" sowie der Verkauf von Salben, die Krebserkrankungen in zwei Tagen heilen sollen. Wer bei Verstand ist, meidet die Sippe. Das scheint auch Victoria bald zu kapieren. Erst 15 Jahre ist sie alt, als sie Canning Woodhull heiratet und mit ihm die Hoffnung auf ein neues, beständigeres Leben verbindet. Ehe als Flucht. Doch der schöne Schein trügt: Canning ist ein Säufer und der Arbeit ebenso abgeneigt wie der Rolle eines verlässlichen Lebenspartners.

"Hellseherin, Medium und magnetische Heilerin"

Beginnt so die Laufbahn einer Präsidentschaftskandidatin? Mit sporadischem Schulbesuch und einem Leben in den Randzonen der Gesellschaft? Victoria jedenfalls zieht weiter, bald schon ohne Ehemann. Sie versucht in San Francisco ihr Glück, eröffnet in Indianapolis eine Praxis als "Hellseherin, Medium und magnetische Heilerin". Sie tingelt durchs Land, meist mit ihrer Schwester Tennessee und oft im ollen Planwagen. Erst in St. Louis 1865 wird alles anders - das heißt: erst mit James Blood. Der ist das, was Victoria bislang nicht kennenlernte: ein Bürger, Richter obendrein und Präsident der örtlichen Eisenbahngesellschaft. Wichtiger noch: Blood ist gebildet und weiß, was die Gesellschaft so umtreibt. Frühe sozialistische und kommunistische Gedanken und erste feministische Ideen. Bei ihm wird Victoria Woodhull zum Schwamm. Alles wird wichtig, ist spannend, neu, hilfreich und verwegen.

Drei Jahre später taucht sie mit Blood und Schwesterchen Tennessee in New York auf und lernt, was es heißt, ein modernes Leben zu führen. Sie wird es weiterhin mit eignen, bewährten Mitteln bestreiten. Ihre engen Kontakte zur Bordellszene sind goldwert. Weil die Broker der Stadt gerne vor den Frauen mit ihren Erfolgen und Tricks prahlen. Über diese Info-Kanäle wird Woodhull ins Finanzgeschäft eingeführt. Und mit Hilfe des befreundeten und steinreichen Cornelius Vanderbilt gelingt ihr am "Schwarzen Freitag", dem 24. September 1869, ein Coup im Goldgeschäft, der Victoria Woodhull auf einen Schlag um 650.000 Dollar reicher macht.

Keine Frage, das einstige Kind aus der Gosse ist auf der Überholspur angekommen: Mit ihrer Schwester gründet sie eine eigene Brokerfirma an der Wall Street, sie engagiert sich in Frauenfragen, propagiert die freie Liebe, trägt kurze Haare sowie betont männliche Kleidung - und sie pflegt den Kontakt zur Presse: Die "New York Times" nennt sie einen "weiblichen Napoleon".

Ehebrüche und Affären

Die Woodhull ist Sensation und Provokation zugleich. Und als sie 1870 auf den Gedanken kommt, als erste Frau eine Präsidentschaftskandidatur anzutreten, gründet sie das nötige Sprachrohr: "Woodhull and Claflin's Weekly" mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren. In diesem Wochenblatt verkündet sie ihre Ziele; vor allem: Sie prangert die Doppelmoral der amerikanischen Gesellschaft an. Ein heikles Thema, zumal Victoria Ehebrüche und Affären in der Familie Beecher öffentlich macht, den Tugendwächtern der Nation. Und die reagieren empfindlich. Ein Großteil der Wahlauflage von "Woodhull and Claflin's Weekly" kaufen sie auf und sorgen dafür, dass ein Artikel der Ausgabe vom Gericht als obszön bewertet wird. Einen Tag vor der Wahl wird die erste Präsidentschaftskandidatin verhaftet und wandert für vier Wochen in den Knast.

Was bleibt, sind die vielleicht noch heute gültigen Worte zu einem US-Wahlkampf, die damals Harriet Beecher Stowe - Autorin von "Onkel Toms Hütte" - über Victoria Woodhull verlautete: "Wer immer auch Präsident der Vereinigten Saaten werden will, muss sich darauf einstellen, dass sein Charakter in Stücke gerissen wird, dass er verletzt, geschlagen und mit Schmutz überzogen wird von jedem unflätigen Blättchen im ganzen Land . . . Was für ein unverschämtes Luder von einer Frau muss das sein, die so etwas nicht umbringt."

(los)
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