Essay zu den US-Wahlen Der amerikanische Traum lebt

Düsseldorf · Träume sind ziemlich unverwüstliche Gebilde. Jedenfalls gehen sie nicht daran kaputt, wenn die Wirklichkeit gerade einmal nicht der Vision entspricht. Ein Essay.

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US-Wahl 2016 - so wählte Amerika

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"Der amerikanische Traum ist zu Ende." Das haben nicht wenige behauptet, lange vor dem Ausgang der US-Wahl. Und noch eine ganze Menge mehr Leute haben diesen Satz am gestrigen Mittwoch gesagt, voller Entsetzen, als der Sieger feststand. Dabei trifft nichts weniger zu als das. Zwischen Träumen und der Wirklichkeit bestand schließlich schon immer ein himmelweiter, weil grundsätzlicher Unterschied.

Insofern sind Träume wahre Überlebenskünstler. Sie begleiten Milliarden Menschen ein Leben lang, unkaputtbar, obgleich nur ein Bruchteil von ihnen in Erfüllung geht. Vom Tellerwäscher zum Millionär ist so einer, ein typisch amerikanischer obendrein. Der wird hartnäckig weitergeträumt, obwohl die allermeisten Tellerwäscher in Amerika es nie und nimmer zum Millionär bringen.

Der amerikanische Traum schmeckt auch in Europa nach Coca-Cola, nach Popcorn und nach Blaubeer-Muffins. Er fühlt sich gut und fest an wie Blue Jeans, er ruft Bilder von schnurgeraden Straßen durch grandiose Landschaften hervor, und er klingt wie Bruce Springsteen. Er steht für ein Lebensgefühl, den American Way of Life, und der hat auch über den Wahltag hinaus sehr, sehr viel mit Freiheit zu tun oder zumindest mit dem Wunsch nach Freiheit.

Dieses Gefühl ist seltsamerweise immer noch wach und stark geblieben, obwohl es heutzutage viel weniger Gründe als früher zum Auswandern über den Großen Teich gibt. Ein bekanntes amerikanisches Magazin hat Deutschland unlängst sogar zum besten Land der Welt gekürt.

Einst aber hat dieser Traum Millionen aus der alten, engen Welt in die neue aufbrechen lassen in der Hoffnung, dort ein neuer, ein freier Mensch zu werden. Der große Treck nach Westen war auch dann nicht zu stoppen, als grausame Kälte, sengende Hitze, mörderische Krankheiten den amerikanischen Traum Zigtausender zunichtemachte.

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Foto: Falk Janning

Die Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776, die das Recht auf ein Leben in Freiheit und Gleichheit und auf das Streben nach Glück festschreibt, ist über die Jahrhunderte für viele Amerikaner eine unerfüllte Verheißung geblieben. Das hat aber Martin Luther King nicht davon abgehalten, begeisterten Landsleuten zuzurufen: "I have a dream."

Es ist wahr: Ein sehr großer Teil der Amerikaner wird seit Jahren von Albträumen geplagt. Von der Angst vor Entrechtung und Abstieg und davor, dass am Ende immer die Bank gewinnt. Aber auch dem amerikanischen Traum wohnt eine Wahrheit inne, die so stark ist, dass sie ohne Gewissheit weiterexistieren kann. Ohne diesen Traum wäre Amerika, wäre jedes Land der Welt verloren. Weil Träume die einzige Möglichkeit bleiben, die Wirklichkeit zu gestalten.

Nein, der amerikanische Traum ist überhaupt nicht zu Ende. Und wenn es nicht so schrecklich ungehobelt nach Donald Trump klänge, wäre man glatt geneigt zu sagen: Bullshit!

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(bew)
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