US-Präsidentschaftsbewerber Ben Carsons größte Operation

Washington · Der 64-jährige Neurochirurg Ben Carson möchte Präsident der USA werden. Seine Chancen stehen gut: Im republikanischen Vorwahlkampf ist er Favorit. Sein größter innerparteilicher Konkurrent heißt Donald Trump.

Ben Carson – Neurochirurg und Buchautor
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Das ist Ben Carson

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Ben Carson stand im Scheinwerferlicht einer Debattenbühne, er faltete die Hände und lächelte milde, als die Frage kam, warum er immer so ruhig wirke, als nehme er den Trubel ringsum gar nicht wahr. Nun, er sei nun mal kein aufbrausender Mensch, Schreien sei nicht sein Ding, antwortete der Neurochirurg und warf seinem Konkurrenten Donald Trump einen amüsierten Seitenblick zu. Damit hatte Carson seine Nische gefunden: die des freundlichen Populisten.

Auch er ist ein Newcomer der Politik, auch seine Thesen sind oft so bizarr wie die Sprüche, die der Immobilienmagnat Trump klopft. Doch während Trump gegen jeden lospoltert, der ihm widerspricht, erweckt der Doktor der Medizin den Eindruck, als nähme er an einer Therapiesitzung teil, bei der man seine Stimme nicht heben darf. Aus der Nische ist ein Spitzenplatz geworden. In den Kandidatenumfragen der Republikaner liegt Carson an erster Stelle, vor Trump, vor Marco Rubio, Ted Cruz und Jeb Bush. Am Ende könnte es auf ein Duell mit Rubio hinauslaufen, dem jungen Senator aus Florida, den das konservative Establishment zusehends zu favorisieren scheint, nachdem es anfangs auf Bush gesetzt hatte.

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Foto: dpa/Matt Rourke

Carson steht für den Rebellengeist einer Basis, die sich seit den ersten Tea-Party-Wellen gegen jeden auflehnt, der Politik im Hauptberuf betreibt. Er steht für den Versuch der "Grand Old Party", endlich wieder bei einer Wählerschaft zu punkten, die sie praktisch abgeschrieben hatte.

Als der Republikaner Abraham Lincoln die Sklaverei beendete, schien das schwarze Amerika seiner Partei bis in alle Ewigkeit verpflichtet. Das änderte sich dramatisch, als die Demokraten die Bürgerrechtsgesetze der 1960er Jahre durchsetzten und weiße Südstaatler millionenfach zu den Republikanern überliefen. Nun also Carson, der seine Slogans auch zu Hip-Hop-Rhythmen verkündet. Als Afroamerikaner imprägniert er die Konservativen gegen den Vorwurf, rassistische Hintergedanken zu hegen, wenn sie gegen Obama wettern. Schließlich gehört er zu denen, die den Präsidenten am schärfsten kritisieren. Angefangen hat es 2013 mit einer Rede beim "Nationalen Gebetsfrühstück", einem politisch-religiösen Forum. Carson sprach von moralischem Verfall und fiskalischer Verantwortungslosigkeit. Die Kombination, orakelte er, könne die USA ebenso zu Fall bringen wie einst das antike Rom. Obama hörte mit versteinerter Miene zu.

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Foto: AP/Andrew Harnik

Seitdem ist Carson ein Held in Tea-Party-Kreisen, und was er neulich über Abtreibungen sagte, ließ ihn zum Helden evangelikaler Christen werden. Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen, verglich er mit Sklavenhaltern: Auch die hätten geglaubt, mit menschlichem Leben verfahren zu können, wie immer sie es für richtig hielten. Die obligatorische Krankenversicherung, eingeführt mit Obamas Gesundheitsreform, charakterisierte er als eine so rigorose Form staatlicher Kontrolle über den Einzelnen, dass sie an Nazideutschland denken lasse. Carson, schreibt der afroamerikanische Kolumnist Jelani Cobb, liefere den besten Beweis dafür, dass sich paranoides Denken nicht auf weiße Amerikaner beschränke. Seine Popularität indes erkläre sich nicht aus Parolen, sondern aus seiner Lebensgeschichte.

Carsons Mutter Sonya, die nach drei Klassen von der Schule abging, schlug sich als Putzfrau durch. Mit 13 heiratete sie. Nach ein paar Jahren entdeckte sie, dass ihr Mann parallel in zwei Familien lebte. Nachdem sie ausgezogen war, wuchsen ihre zwei Söhne in einer Wohnung auf, in der es von Ratten und Kakerlaken wimmelte. Obwohl sie Analphabetin war, achtete sie streng darauf, dass die beiden jede Woche zwei Bücher lasen. Sie ließ sie Aufsätze darüber schreiben und gab vor, sie zu begutachten, indem sie Häkchen setzte. "Dass sie nicht lesen konnte, wussten wir nicht", sagt Carson.

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Foto: ap

Dann ist da noch die Geschichte einer Läuterung, wie die christliche Rechte sie liebt. Sie beginnt damit, dass der Neuntklässler Carson einem Mitschüler, der ihn gehänselt hat, ein Messer in den Bauch zu rammen versucht. Die Klinge trifft nur die Gürtelschnalle des Jungen und bricht. Der reuige Angreifer rennt nach Hause, schließt sich ein und betet, dass Gott ihm seinen Jähzorn nehmen möge. Danach sei er ein anderer Mensch gewesen, schildert Carson. Er studiert und übernimmt mit 33 Jahren die Kinder-Neurochirurgie der Johns-Hopkins-Klinik in Baltimore. 1987 leitet er ein Team, das zum ersten Mal an den Köpfen zusammengewachsene siamesische Zwillinge trennt. Es klingt wie aus einem Lehrbuch für Individualisten, wenn Carson den Leitsatz seiner Mutter zitiert: "Hast du keinen Erfolg, bist ganz allein du daran schuld."

(RP)
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