Interview mit Pawlo Klimkin Ukraine verzichtet auf eine Offensive im Osten

Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin hat Plänen zu einer Rückeroberung der von pro-russischen Separatisten besetzten Gebiete im Osten der Ukraine eine Absage erteilt. "Eine militärische Offensive würde doch auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen, unsere ukrainischen Landsleute", sagte Klimkin.

 Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin (46).

Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin (46).

Foto: dpa, fis jhe

In der Ost-Ukraine brechen immer wieder Gefechte aus. Ist die Waffenruhe nicht längst gescheitert?

Klimkin Es stimmt, wir haben keinen haltbaren Waffenstillstand. An uns liegt das nicht. Wir versuchen, militärische Auseinandersetzungen zu vermeiden, aber dazu gehören natürlich immer beide Seiten. Die Terroristen in Donezk und Lugansk müssen sich endlich an den Waffenstillstand halten - und mit ihnen die russischen Kämpfer, die sie unterstützen. Die am 2. November entgegen allen Abmachungen durchgeführten Pseudo-Wahlen in den von den Terroristen kontrollierten Gebieten haben die Lage leider erneut verschärft. Sie waren der klare Versuch, alle bisher erreichten Vereinbarungen zunichte zu machen. Aufgrund dieser Wahlen droht jetzt ein dauerhaft schwelender Konflikt.

Wäre die ukrainische Armee einer erneuten Offensive der Separatisten überhaupt gewachsen?

Klimkin Sie dürfen den Zustand unserer Truppen nicht mit der Situation vor einem Jahr vergleichen. Da gab es eigentlich gar keine ukrainische Armee mehr, die hatte die vorherige Regierung systematisch kaputt gemacht. In den letzten Monaten hat sich da vieles verbessert. Wir verfügen jetzt über Tausende Soldaten, die kämpfen können und das auch schon bewiesen haben. Ich bin sicher: Wenn es nötig werden sollte, könnten diese Einheiten effektiv gegen die von russischen Soldaten unterstützten Terroristen vorgehen.

Die Durchführung von Wahlen durch die Separatisten war ein klarer Verstoß gegen das Abkommen von Minsk. Fühlen Sie sich trotzdem weiter daran gebunden?

Klimkin Ja, wir werden uns weiter an diese Vereinbarung halten, denn sie ist bisher unser einziger Ansatzpunkt, um auf eine Deeskalation der Lage hinzuwirken. Wir haben im Übrigen unseren Teil dieser Abmachung bisher in allen Punkten erfüllt. Leider kann man von den Russen und den Terroristen nicht dasselbe sagen. Wir machen uns zum Beispiel große Sorgen um 500 Geiseln, die dort weiter unter schlimmen Bedingungen festgehalten werden, und deren Freilassung wir so schnell wie möglich erreichen wollen.

Müssen die Sanktionen gegen Russland angesichts der sich zuspitzenden Lage weiter verschärft werden?

Klimkin Die Sanktionen sind sehr wichtig, aber noch wichtiger wäre, dass die EU aufgrund einer gemeinsamen Position politischen Druck auf Russland ausübt. Der Schlüssel zur Lösung dieses Konflikts liegt in Moskau. Ich hoffe sehr, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs sowie US-Präsident Barack Obama die Gelegenheit beim G 20-Gipfel am Wochenende in Australien nutzen, um dem russischen Präsidenten Wladimir Putin diese Botschaft persönlich und mit Nachdruck zu übermitteln.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zusätzliche Wirtschaftssanktionen gegen Russland zunächst einmal ausgeschlossen.

Klimkin Wie gesagt, wir dürfen nicht immer nur auf die Sanktionen schauen. Wir wünschen uns eine stimmige Gesamtstrategie der EU. In der kommenden Woche werden die EU-Außenminister erneut über die Lage in meinem Land beraten. Dabei wird es um sämtliche zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gehen, um Druck für ein Ende der Gewalt und eine friedliche Lösung des Konflikts zu machen.

Sie haben unlängst erklärt, die Ukraine werde sich die besetzten Gebiete zurückholen. War damit ein Militär-Einsatz gemeint?

Klimkin Nein, es geht dabei um eine politische Lösung. Eine militärische Offensive würde doch auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen, unsere ukrainischen Landsleute. Deren Lage ist ohnehin schon schlimm genug. Die wirtschaftliche Lage in Lugansk und Donezk ist schlecht und wird sich weiter verschlechtern. Wir versuchen, so viel humanitäre Hilfe wie möglich dorthin zu bringen, und wir haben die nicht ganz einfache Entscheidung getroffen, weiterhin Strom und Gas zu liefern, obwohl diese Lieferungen nicht bezahlt werden. Aber wir können die Menschen schließlich nicht einfach im Stich lassen.

Braucht die Ukraine zusätzliche Hilfe aus dem Westen?

Klimkin Ja, das wäre sehr wichtig. Wir versuchen gerade den Umfang eines zusätzlichen Hilfspakets zu beziffern. Im Osten der Ukraine liegen unsere industriellen Zentren, und wir bekommen zum Beispiel derzeit keine Kohle aus den dort betriebenen Bergwerken mehr. Wir müssen sie jetzt im Ausland kaufen, das ist eine gewaltige zusätzliche Belastung. Aber ich möchte klarstellen, dass wir von unserer Seite auch alles tun werden, um solche Hilfen zu rechtfertigen. Wir wollen tiefgreifende Reformen in Staat und Wirtschaft durchsetzen, damit das Geld nicht versickert.

Wie ist die Lage auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim?

Klimkin Wir werden nie aufhören, mit allen politischen und rechtlichen Mitteln um die Krim zu kämpfen. Sie ist ebenso ukrainisch wie Donezk oder Lugansk. Auch auf der Krim hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage verschlechtert. Internationale Organisationen weisen auf zahlreiche Verletzungen der Menschenrechte hin. Betroffen davon sind vor allem Ukrainer und Krim-Tataren. Wir werden helfen, wo wir können. Trotzdem müssen die internationalen Sanktionen, die Investitionen auf der Krim verbieten, strikt beachtet werden.

MATTHIAS BEERMANN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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