Gegenwind für Ost-Ukraine-Friedensplan Pro-russische Aufständische wollen nicht weichen

Moskau · Was Augenzeugen aus der Stadt Slawjansk berichten, deutet nicht darauf hin, dass sich die Lage in der Ost-Ukraine nach der Einigung von Genf wesentlich entspannt hätte. Allerdings kommen am Freitagnachmittag erste Anzeichen einer Annäherung aus Kiew: Man will der russischen Sprache eine Sonderrolle einräumen.

Wladimir Putin: "Fragestunde"zur Ukraine  im russischen TV
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Putins "Fragestunde" im russischen TV

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Foto: afp, ski

Die am Donnerstag von Vertretern der Ukraine, Russland, der EU und den USA unterzeichnete Erklärung der Genfer Konferenz fordert unter anderem ein sofortiges Ende der Gewalt und die Entwaffnung illegaler Gruppen. Trotzdem setzen sowohl die Regierung in Kiew als auch die Separatisten im Osten auf aggressive Worte — und entsprechende Taten.

Mehrfach am Tag ziehen Kampfjets über Slawjansk. An den Zufahrtstraßen gibt es Straßensperren, maskierte Männer in Tarnanzügen kontrollieren den Verkehr. Ein Panzer mit bewaffneten pro-russischen Kämpfern fährt durch den Ort, gefolgt von einem Militärlaster mit russischem Kennzeichen. Zwei weitere Panzer stehen vor dem Geheimdienstgebäude, dass die Separatisten besetzt haben.

Sowohl des Außenministerium wie auch die Zentrale des Geheimdienstes SBU in Kiew wollen die Militäraktion gegen die pro-russischen Aktivisten weiterführen. "Die Anti-Terror-Aktion geht weiter, ihre Intensität wird davon abhängen, ob die Vereinbarung praktisch umgesetzt wird, ob besetzte Gebäude geräumt und Waffen abgegeben werden", sagte Außenminister Andrej Deschtschiza. Auch eine Sprecherin des Geheimdienstes bestätigte, die Aktion werde fortgeführt und erst beendet, "wenn die Terroristen unser Territorium verlassen haben." Allerdings werde man "wegen der Osterfeiertage und der Genfer Vereinbarung" auf eine "aktive Phase" verzichten. An diesem Wochenende fällt das Osterfest der orthodoxen Kirche mit dem der Katholiken und Protestanten zusammen.

Ukraine: Maskierte Männer besetzen Rathaus in Donezk
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Ukraine: Maskierte Männer besetzen Rathaus in Donezk

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Inmitten der Krise und der martialischen Worte hat die proeuropäische Regierung in Kiew nun aber am Freitagnachmittag zugesagt, der russischen Sprache einen "Sonderstatus" einräumen zu wollen. "Wir werden dem Russischen einen Sonderstatus geben und garantieren, es zu schützen", erklärte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk in einer Ansprache an die Nation. Die Regierung sei bereit zu einer breit angelegten Verfassungsreform, die außerdem den Regionen deutlich mehr Rechte geben solle. An der Seite Jazenjuks befand sich Interimspräsident Oleksander Turtschinow.

Die pro-russischen Separatisten in Donezk und andernorts gaben ihrerseits bekannt, dass sie das Verhandlungsergebnis von Genf nicht anerkennen. Der Chef der selbst ausgerufenen "Volksrepublik Donezk", Denis Puschilin, sagte zur Begründung: "Die Junta in Kiew hat diese Vereinbarung schon verletzt, als sie ankündigte, das Militär aus Kramtorsk und Slawjansk nicht abzuziehen." Unter diesen Bedingungen sei ein Entgegenkommen der Separatisten undenkbar. Er forderte die ukrainische Regierung zudem auf, die neu formierte Nationalgarde und die militant-nationalistische Gruppe "Rechter Sektor" zu entwaffnen.

Aufständische fordern Referendum

In Lugansk forderten die Aufständischen, die das Regionalparlament kontrollieren, von den Verantwortlichen in Kiew ein Referendum über die Staatsform der Ukraine mit "maximale Übertragung der Vollmachten auf die Regionen". Außerdem soll eine Amnestie für alle Mitglieder der Sondereinsatztruppen "Berkut" und Alpha" verabschiedet werden. Diesen Sicherheitskräften wird vorgeworfen, in Kiew auf pro-europäische Demonstranten geschossen zu haben.

Unterdessen verschärft die Ukraine die Kontrollen an der Grenze zu Russland. Seit zwei Tagen lässt der ukrainische Grenzschutz Männer mit russischem Pass im Alter zwischen 16 und 60 Jahren nicht mehr über die Grenze. "In erster Linie gilt unsere Aufmerksamkeit Männern mit kräftigem Körperbau, die allein oder in kleinen Gruppen in die Ukraine einreisen wollen", hieß es in einer Erklärung des Grenzschutzes. Es wurde daran erinnert, dass die Grenzer im Falle von Widerstand auch von Schusswaffen Gebrauch machen dürfen. Bereits 80 russischen Staatsbürgern sei der Grenzübertritt verwehrt worden. In den Zügen, die zwischen Russland und der Ukraine verkehren, habe man weitere 70 Personen abgefangen. Auch auf dem Flughafen Borispol in Kiew wurden die Kontrollen verschärft.

Diese Sicherheitsvorkehrung ist problematisch. Denn gerade über die Osterfeiertage besuchen sich viele Familien, deren Angehörige in den beiden Nachbarländern leben. Andererseits gibt es viele Anzeichen dafür, dass die separatistischen Aktionen im Osten der Ukraine von Angehörigen russischer Sicherheitskräfte initiiert oder zumindest tatkräftig unterstützt werden. In einer TV-Bürgerfragestunde hatte Kremlchef Wladimir Putin diesen Vorwurf zurückgewiesen "Das ist Unfug. Es gibt keine russischen Truppen in der Ukraine. Das sind alles ukrainische Bürger, die sich selbst bewaffnet haben." Ausdrücklich behielt sich Putin aber eine Militärintervention in der Ost-Ukraine vor. "Der Föderationsrat hat mir das Mandat für eine Entsendung von Truppen in die Ukraine gegeben, Ich hoffe sehr, dass ich nicht gezwungen werde, das zu tun." Putin betonte, dass die Region um Donezk erst seit 1920 zur Ukraine gehöre. Zur Zarenzeit habe der Südosten der heutigen Ukraine "Noworossija" (Neurussland) geheißen.

In der gleichen TV-Show gab Putin erstmals öffentlich zu, dass russische Soldaten auf der Krim im Einsatz waren. Anfang März hatten professionell ausgerüstete Krieger in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen alle strategisch wichtigen Punkte auf der Halbinsel besetzt. Der Kremlchef hatte bislang die russische Beteiligung bestritten und behauptet, ähnliche Uniformen können man in jedem Laden kaufen. Das hatte ihm den Spott der oppositionellen Presse eingebracht. "Wer sind denn diese jungen Leute, diese grünen Männchen?" wurde Putin bei seiner TV-Audienz gefragt. Und antwortete rundheraus: "Wir mussten die freie Willensäußerung der Krimbewohner sichern. Deshalb standen hinter den Kräften der örtlichen Selbstverteidigung natürlich unsere Militärs."

Timoschenko reist nach Donezk

Unterdessen ist die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko in Donezk eingetroffen, um sich selbst ein Bild von der Lage in der ostukrainischen Stadt zu machen. Sie wolle sich die Forderungen der Menschen anhören, die dort leben, sagte sie der Nachrichtenagentur AP.

"Ich möchte mir diese Forderungen selbst anhören und herausfinden, wie ernsthaft sie sind, damit man den notwendigen Kompromiss zwischen West und Ost finden kann, der uns erlauben wird, das Land zu einen", erklärte Timoschenko, die bei der Präsidentenwahl am 25. Mai antritt.

Auf die Frage, ob sie auch in die von prorussischen Aktivisten besetzen Gebäude gehen werde, sagte Timoschenko, sie werde mit Leuten sprechen, "die verschieden Gruppen repräsentieren, die die Gebäude besetzt haben".

Mit Material der AP und AFP

(RP)
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