Hackerangriff auf den Westen Der "Islamische Staat" eröffnet den Cyber-Krieg

Düsseldorf · Ab 22 Uhr ging nichts mehr. Die islamistische Terrormiliz IS demonstrierte der westlichen Welt mit einem Hackerangriff auf den französischen Sender TV5Monde ihre Macht. Experten geben sich überzeugt: Das dürfte erst der Anfang gewesen sein.

 Der Screenshot zeigt die von IS-Piraten gekaperte Facebookseite des Senders TV5Monde.

Der Screenshot zeigt die von IS-Piraten gekaperte Facebookseite des Senders TV5Monde.

Foto: afp, QL

Die Cyber-Attacke hat Frankreich kalt erwischt. Am Mittwochabend, nach 22 Uhr, sah sich der Sender TV5Monde nicht mehr in der Lage, seine Kanäle mit eigenem Programm zu bestücken. Stundenlang lag der Sendebetrieb brach. "Wir sind nicht mehr imstande, irgendeinen unserer Kanäle auszustrahlen", sagte Senderchef Yves Bigot.

Auch über ihre Website und ihre Konten in sozialen Netzwerken hatte die Sendergruppe die Kontrolle verloren. Stattdessen fanden Nutzer dort Drohungen der Islamisten. "Soldaten Frankreichs, haltet Euch vom Islamischen Staat fern!", warnten die Hacker auf Facebook. "Ihr habt die Chance, das Leben Eurer Familie zu retten, nutzt sie."

Nos sites, nos comptes de réseaux sociaux, nos antennes ont été piratés hier, peu après 22H. http://t.co/wEEJiHlrfr via @francetvinfo

Weiter hieß es: "Im Namen Allahs, des Allergütigsten, des sehr Barmherzigen, führt das CyberKalifat weiter seinen Cyber-Dschihad gegen die Feinde des Islamischen Staates." Das CyberKalifat suche derzeit nach den "Familien der Militärs, die sich an die Amerikaner verkauft haben".

Eine zynische Antwort auf Charlie Hebdo

Über alldem prangte der Schriftzug "Je suis IS". Eine zynische Botschaft an Anlehnung an das Motto "Je suis Charlie", mit dem die westliche Welt sich nach den Attentaten von Paris zu einem liberalen Gesellschaftsmodell mit Pressefreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung bekannte.

Die Hacker warfen Frankreichs Staatschef François Hollande vor, mit der Beteiligung an dem Militäreinsatz der US-geführten Koalition gegen den IS im Irak und in Syrien einen "unverzeihlichen Fehler" gemacht zu haben. "Darum haben die Franzosen die Geschenke bei 'Charlie Hebdo' und Hyper Cacher erhalten", hieß es.

Erst gegen 1 Uhr nachts konnte TV5Monde wieder den Betrieb aufnehmen, gegen Mitternacht waren die Internet-Angebote wieder unter Kontrolle. Der Schreck sitzt tief. Zumal TV5Monde kein Amateurverein ist, sondern ein global operierendes Unternehmen. Die Gruppe betreibt in 200 Ländern ihr Angebot. Am Mittwoch erst hatte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius sich einer feierlichen Einweihung eines neuen Kanals beteiligt. Umso schmerzhafter, dass der IS an diesem hervorgehobenen Termin den Sendebetrieb kaperte.

Profis am Werk

Frankreichs Premierminister Manuel Valls konnte den Angriff am Donnerstag nur noch als "inakzeptablen Angriff auf die Informations- und Meinungsfreiheit" verurteilen und der Redaktion seine "volle Unterstützung" versichern. Am Morgen besuchten zudem Innenminister Bernard Cazeneuve, Außenminister Laurent Fabius und Kulturministerin Fleur Pellerin den Sitz von TV5Monde in Paris.

Die französische Regierung kündigte Ermittlungen gegen den terroristischen Akt an. Wer genau dahinter steckt, bleibt bislang im Zentrum von Spekulationen. Die Angreifer selbst gaben sich als IS-Mitglieder aus.

Dass die Terrormiliz den Umgang mit dem Internet beherrscht, hat sie bereits seit ihrer Gründung zuverlässig unter Beweis gestellt. Ihre Propaganda hat sie professionalisiert und auf Kanäle wie Youtube, Twitter oder andere Netzwerke ausgerichtet. So werden in Europa systematisch neue Kämpfer rekrutiert. Die oftmals brutalen PR-Videos sind professionell produziert und schildern in HD-Qualität die Erfolge der IS-Kämpfer wie auch die Hinrichtung von Geiseln. Die Erzähltechniken folgen dabei den Mustern Hollywoods. "Nie war es einfacher, schneller und kostengünstiger, für den Dschihad zu werben", heißt es beim deutschen Verfassungsschutz.

Das Geschäft gilt als hoch lukrativ

Dass der IS das Internet nicht nur zur Propagandazwecken, sondern auch als Waffe nutzen will, zeigte sich in diesem Jahr bereits im Januar 2015. Eine Hackergruppe hatte im Namen der Islamisten kurzzeitig den Twitter-Account des US-Militärs gekapert. Der Angriff auf die Franzosen ist nun sicherlich noch eine Nummer größer einzuschätzen.

Experten vermuten hinter den Angriffen arabische Cybersöldner, die mehr oder minder skrupellos Auftragsarbeiten übernehmen. Der finanziell gut aufgestellte Islamische Staat soll zunehmend zu ihren wichtigsten Kunden zählen. Das Geschäft gilt als hoch lukrativ — und als Wachstumsbranche.

Das ZDF berichtete unlängst von der Enttarnung mehrerer Hackergruppen, die für Angriffe auf Ziele mit noch größerer Sicherheitsstufe verantwortlich gewesen sein sollen. Einsatzpläne der jordanischen Luftwaffe, Unterlagen ägyptischer Diplomaten oder vertrauliche Einschätzungen der israelischen Regierung.

Ein längst erwarteter Angriff

"Mich überrascht diese Entwicklung überhaupt nicht", zitiert der Sender Hans-Peter Bauer, den Deutschlandchef von Intel Security. Cyberangriffe im Dienste des IS hätten britische Sicherheitskreise schon länger prognostiziert. Bauer befürchtet in nicht allzu ferner Zukunft Angriffe auf kritische Infrastrukturen in den USA und Europa und mahnt die Behörden, sich schnell mit moderner Software gegen Attacken zu wappnen.

Zumindest aus finanzieller Sicht könnte es für den IS nach jüngsten Erkenntnissen allerdings schwieriger werden, seine Kriege zu finanzieren. So geht der BND nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR davon aus, dass die Terrormiliz nach den militärischen Niederlagen der vergangenen Wochen nur noch ein Ölfeld im Irak kontrolliert. Dadurch wäre dem IS eine eminent wichtige Einnahmequelle verlorengegangen.

Mit Material von AFP

(pst)
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