Krise in türkischen Gefängnissen "Sie stapeln Gefangene übereinander"

Ankara · Schon vor dem Putschversuch waren die türkischen Gefängnisse überfüllt und die Gerichte im Rückstand mit ihren Verfahren. Nach dem gescheiterten Staatsstreich platzen die Anstalten aus allen Nähten. Menschenrechtler sprechen von Folter.

 Türkische Sicherheitskräfte haben seit dem versuchten Putsch 12.000 Menschen verhaftet.

Türkische Sicherheitskräfte haben seit dem versuchten Putsch 12.000 Menschen verhaftet.

Foto: dpa, ase

Unter ihnen sind auch rund 3000 Staatsanwälte und Richter, was die Situation weiter verschärft, da sie bei der Bearbeitung der Verfahren fehlen. Im März hatten bereits 188.000 Menschen in türkischen Gefängnissen eingesessen, 8000 mehr, als deren Kapazität zulässt. Seit dem Putschversuch Mitte Juli wurden zusätzlich 12.000 Menschen verhaftet. Tausende weitere werden zur Befragung festgehalten.

"Sie stapeln sie übereinander"

"Sie stapeln sie übereinander, um ausreichend Raum zu schaffen", kritisiert der Menschenrechtler Mustafa Eren. Die Regierung erklärt zwar, die Lage sei unter Kontrolle. Doch Bilder Verdächtiger, die mit Handschellen gefesselt und bis auf die Unterhosen ausgezogen in stickig heißen Räumen festgehalten werden, bereiten Menschenrechtsorganisationen Sorge.

Berichten zufolge sind einige Gefängnisse so voll, dass die Insassen in Schichten schlafen müssen. Im Tekirdag-Gefängnis im Nordwesten des Landes pferchten die Behörden inzwischen sechs Leute in eine Drei-Mann-Zelle, sagt Eren, der Vorsitzende der Gruppe "Stiftung Zivilgesellschaft in der Strafjustiz". Das Silivri-Gefängnis westlich von Istanbul sei so überfüllt, dass es Gefangene in der Sporthalle unterbringe.

"Die Kapazität der Gefängnisse war schon vor dem 15. Juli erschöpft. Häftlinge mussten schon damals auf dem Gang oder vor den Toiletten schlafen", sagt Veli Agbaba, der stellvertretende Vorsitzende der größten säkularen Oppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei CHP. Agbaba ist Mitglied des CHP-Ausschusses zur Untersuchung der Zustände in den Gefängnissen und hat in den vergangenen fünf Jahren Hunderte Besuche in den Haftanstalten des Landes absolviert. Die Gefängnisse seien derartig überfüllt, dass die Häftlinge in Schichten schliefen, sagt er. Als Reaktion stellten die Behörden zusätzliche Betten in die Zellen, so dass man dort keinen Schritt mehr gehen könne. "Das Problem ist so groß, dass es sich nicht mit zusätzlichen Betten lösen lässt", erklärt Agbaba. Die regierungsfreundliche Zeitung "Yeni Safak" berichtete, die Leitung des Sincan-Gefängnisses in Ankara habe ein großes Zelt auf dem Gelände aufstellen lassen, um neue Gefangene nach dem Putschversuch unterzubringen. Die Regierung widersprach diesem Bericht und erklärte, alle Verdächtigen seien in Gebäuden untergekommen.

Menschenrechtler sprechen von Folter

Menschenrechtler bezeichnen die Enge in den Gefängnissen dagegen als eine andere Art von Folter für die Insassen. Die Medien zeigten auch Bilder von Gefangenen mit Verbänden und blauen Flecken. "Das Material belegt eindeutig, dass diese Soldaten im Gefängnis geschlagen wurden. Das ist Folter, da braucht man nicht einmal mehr ermitteln", sagt Öztürk Türkdogan, der Chef der türkischen Menschenrechtsvereinigung. "Solche Racheakte darf es nicht länger geben." Vertreter von Menschenrechtsgruppen hätten sich mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Numan Kurtulmus getroffen, um ihm ihre Befürchtungen mit Blick auf Folter und Haftbedingungen mitzuteilen.

Justizminister Bekir Bozdag betonte indes in einem Fernsehinterview diese Woche, in türkischen Gefängnissen gebe es keine Folter. Auch eine Deutsche wurde nach dem Putschversuch in der Türkei festgenommen, wie das Auswärtige Amt bestätigte. Die deutschen Diplomaten bemühten sich um Kontakt zu der Frau, um sie konsularisch unterstützen zu können, sagte ein Sprecher in Berlin. Einzelheiten nannte er nicht. In Medienberichten hieß es, bei der Festgenommenen seien angeblich Bücher gefunden worden, die auf Kontakte zur Gülen-Bewegung oder eine Mitgliedschaft darin hinwiesen. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht die Organisation des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den versuchten Staatsstreich verantwortlich.

(REU)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort