Ausblick So geht es nach dem Referendum in der Türkei weiter

Istanbul/Ankara/Berlin · Noch gibt es kein amtliches Endergebnis – doch klar ist: Der türkische Präsident Erdogan wurde durch das Referendum in seinen Vorhaben bestärkt. In Bezug auf die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei gibt es moderate Töne aus Deutschland.

Erdogan-Anhänger feiern "Ja" beim Referendum in der Türkei
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Erdogan-Anhänger feiern "Ja" beim Referendum in der Türkei

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Noch gibt es kein amtliches Endergebnis — doch klar ist: Der türkische Präsident Erdogan wurde durch das Referendum in seinen Vorhaben bestärkt. In Bezug auf die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei gibt es moderate Töne aus Deutschland.

Der Sieg von Staatschef Recep Tayyip Erdogan beim Verfassungsreferendum in der Türkei ist nur knapp. Dennoch reicht es, damit der türkische Präsident seine geplanten und angekündigten Änderungen in Richtung Präsidialsystem umsetzen kann:

  • Zunächst muss die Wahlkommission erst einmal das amtliche Endergebnis verkünden. Kommissionschef Sadi Güven kündigte am Sonntagabend an, das werde "unter Berücksichtigung der Einspruchsfrist in spätestens elf bis zwölf Tagen" geschehen. Mit der Veröffentlichung des Endergebnisses im Amtsanzeiger ist die Verfassungsänderung in Kraft. Dann beginnt die schrittweise Umsetzung der Reformen. Die Opposition fordert unterdessen die Annullierung des Wahlergebnis, Kritik kommt auch von der OSZE. Die türkische Regierung weist das zurück.
  • Das Kabinett beschloss am Montagabend, den Ausnahmezustand erneut zu verlängern. Das teilte Vizeregierungschef Numan Kurtulmus in Ankara mit. Das türkische Parlament, in der die regierende AKP die Mehrheit hat, muss nun noch zustimmen. Die Maßnahme wäre am Mittwoch ausgelaufen. Der Ausnahmezustand war am 20. Juli, fünf Tage nach dem gescheiterten Militärputsch, verhängt worden. Er wurde im Oktober und im Januar für jeweils drei Monate verlängert. Unter dem Ausnahmezustand sind wichtige Grundrechte wie die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt, zudem verfügt der Präsident über das Recht, per Dekret zu regieren.
  • Darüber hinaus will Erdogan im nächsten Schritt die Wiedereinführung der Todesstrafe zur Diskussion bringen.
  • Mit der Veröffentlichung im Amtsanzeiger darf der Präsident wieder einer Partei angehören. Erwartet wird, dass Erdogan bald nach Inkrafttreten wieder offiziell Chef der Regierungspartei AKP wird. Kritiker befürchten, dass dies dazu führen wird, dass der Präsident zugleich Vorsitzender der größten Partei ist - und damit als Mehrheitsführer das Parlament kontrolliert.
  • Außerdem werden die Militärgerichte abgeschafft.
  • Zudem beginnen die Vorbereitungen für die Neubesetzung des Rates der Richter und Staatsanwälte, was innerhalb von 30 Tagen abgeschlossen sein soll.
  • Der Ministerpräsident und die Regierung bleiben bis zur nächsten Wahl im Amt, die für November 2019 geplant ist, aber vorgezogen werden kann. Bei dieser Abstimmung werden erstmals zeitgleich sowohl das Parlament als auch der Präsident gewählt. Erst danach wird der Präsident sowohl Staats- als auch Regierungschef.
  • Dann soll der Präsident, der bisher laut Verfassung eine vorwiegend repräsentative Funktion hatte, zum Chef der Exekutive werden — das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Künftig soll der Präsident selbst das Kabinett leiten und die Minister auswählen, ohne dabei der Zustimmung des Parlaments zu bedürfen.
  • Das Parlament soll das Recht verlieren, Minister ihres Amtes zu entheben, stattdessen kann es sie künftig nur noch schriftlich befragen - nicht aber den Präsidenten. Im Fall von kriminellen Verfehlungen kann es den Präsidenten absetzen, doch sind die Hürden für ein Amtsenthebungsverfahren sehr hoch.
  • Der Präsident darf nur für zwei je fünfjährige Amtszeiten gewählt werden. Diese Zählung würde aber nach Inkrafttreten der Reform 2019 neu beginnen, so dass Erdogan noch zwei Mal antreten könnte. Gibt es in der zweiten Amtszeit vorgezogene Neuwahlen, darf der Präsident außerdem ein drittes Mal kandidieren.
  • Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sollen künftig gleichzeitig stattfinden. Dies soll sicherstellen, dass der Präsident derselben Partei angehört, die im Parlament die Mehrheit hat.
  • Die Zahl der Abgeordneten im Parlament soll von 550 auf 600 erhöht werden. Künftig könnten sich zudem Bürger bereits mit 18 Jahren zur Wahl stellen - statt bisher mit 25. Die höchst umstrittene Zehn-Prozent-Hürde, die insbesondere prokurdische Parteien benachteiligt, bleibt.
  • Welche Auswirkungen das Referendum auf einen möglichen EU-Beitritt der Türkei hat, scheint noch offen. Trotz der Reform will Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) die Verhandlungen über einen Beitritt nicht abbrechen. "Die Türkei hat es in der Hand. Entscheidungen stehen doch für längere Zeit noch gar nicht an, jetzt ginge ein Beitritt ohnehin nicht", sagte Gabriel der "Bild"-Zeitung. Zuvor hatten Spitzenpolitiker von Union, FDP und Linke ein sofortiges Ende der Beitrittsverhandlungen gefordert.

Die Verfassungsänderung soll im Wesentlichen bei den nächsten regulären Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2019 in Kraft treten.

(vek)
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