Nach Referendum in der Türkei Razzia bei Istanbuler Oppositionsmedium

Istanbul · Nach dem umstrittenen Referendum hat die Polizei das Büro eines oppositionellen Onlinemediums durchsucht und dessen Chefredakteur festgenommen. Ihm werden einem Medienbericht zufolge Volksverhetzung und der Aufruf zum Protest vorgeworfen.

Auch am Mittwochabend protestierten in Istanbul wieder Menschen gegen das Referendumsergebnis.

Auch am Mittwochabend protestierten in Istanbul wieder Menschen gegen das Referendumsergebnis.

Foto: dpa, LP soe

Wie das von linken Aktivisten betriebene Medium sendika.org am Donnerstag mitteilte, werde Chefredakteur Ali Ergin Demirhan zudem beschuldigt, das Ergebnis des Referendums über ein Präsidialsystem nicht anzuerkennen. Bei der Durchsuchung des Büros in Istanbul habe die Polizei Demirhans Computer und Mobiltelefon beschlagnahmt.

Die Website war am Donnerstag von der Türkei aus nicht mehr erreichbar. Beim Abruf der Seite erschien die Information, dass diese per Gerichtsentscheidung als "Schutzmaßnahme" geschlossen wurde. Nach Angaben eines freien Mitarbeiters von sendika.org sperren die Behörden die Seite immer wieder, die dann in der Regel unter einer neuen Adresse erneut online geht.

Nach vorläufigen Wahlergebnissen stimmten am Sonntag 51,4 Prozent der Türken für die Einführung eines Präsidialsystems, das Erdogan mehr Macht verleihen würde. Das Ergebnis ist umstritten - die Opposition wirft dem "Ja"-Lager Wahlbetrug vor. Seit Tagen gibt es immer wieder Demonstrationen in verschiedenen Städten.

Derweil sieht die türkische Regierung keine Chance für die Pläne der Opposition, das Verfassungsreferendum annullieren zu lassen. Die Wahlkommission hatte entsprechende Anträge zuvor abgelehnt. "Unsere Verfassung besagt eindeutig, dass Entscheidungen der Wahlkommission endgültig sind und dass es keine Stelle gibt, bei der diese Entscheidungen angefochten werden können", erklärte Justizminister Bekir Bozdag dazu nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.

Am Wahltag waren zahlreiche Manipulationsvorwürfe erhoben worden. Im Zentrum der Kritik stand die während der laufenden Abstimmung getroffene Entscheidung der Wahlkommission, auch nicht von ihr gestempelte Stimmzettel als gültig zu werten. Auch die OSZE-Wahlbeobachter sahen darin "einen Verstoß gegen türkisches Recht".

Auch die Idee, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen, ist nach türkischer Ansicht aussichtslos. Dieser sei nicht zuständig, sagte Bozdag. Die sozialdemokratische CHP und die prokurdische HDP hatten sich vorbehalten, bei Ablehnung ihrer Anträge auf Annullierung vor das türkische Verfassungsgericht oder den europäischen Menschengerichtshof zu ziehen.

(kess/AFP/dpa/REU)
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