Türkei-Papier der Bundesregierung Erdogans Allianz mit dem Terror

Berlin · Eine an die Öffentlichkeit gelangte vertrauliche Einschätzung der Bundesregierung zeigt: Auch der Bundesnachrichtendienst weiß von zweifelhaften Verbindungen der Türkei zu Islamisten. Was steckt dahinter?

Recep Tayyip Erdogan: Das ist der türkische Staatspräsident
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Das ist Recep Tayyip Erdogan

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Wer wissen wollte, was der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan so alles treibt bei der Unterstützung von Terroristen, Extremisten und Islamisten, der musste nicht auf eine ehrliche, aber "vertraulich" gestempelte Antwort der Bundesregierung an die Linksfraktion im Bundestag warten. Der brauchte sich nur die Berichterstattung über den Prozess gegen die beiden regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül in der Türkei anzuschauen. Sie hatten sich im Frühjahr wegen Spionage und Geheimnisverrats zu verantworten. Ihr "Verrat": der Bericht über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Islamisten in Syrien.

"Alles nicht wahr"

Die Gerichtsverhandlung war indes nur ein weiterer Beleg für die bemerkenswerte Priorisierung des türkischen Anti-Terror-Kampfes. Über Jahre hinweg häuften sich Berichte, wonach sich Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat im syrisch-türkischen Grenzgebiet mehr oder weniger frei bewegen, türkische Gebiete als Rückzugsraum nutzen und sich in türkischen Krankenhäusern wieder fitmachen lassen konnten. Dazu kamen Gerüchte, wonach die Türkei nach den raumgreifenden Eroberungen des IS von dessen Kalifat Öl kaufe. "Alles nicht wahr", betonte Erdogan. Aber auch westliche Nachrichtendienste klagten wiederholt darüber, wie leicht es für angehende Dschihadisten aus dem Westen sei, über Kontakte in türkischen Städten zu IS-Kämpfern im Irak und in Syrien zu kommen.

Erdogans offenkundiges Kalkül: Ein gestärkter IS erzwingt die Niederlage des syrischen Machthabers Baschar al Assad, und ein vorrückender IS zwingt die mit der verhassten PKK verbundenen kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG in die Knie. Um das Entstehen eines syrisch-kurdischen Autonomiegebietes in unmittelbarer türkischer Nachbarschaft zu verhindern, intervenierte er sogar mit Panzern und Soldaten im Norden des Irak, stärkte die irakischen Kurden und trieb einen Keil zwischen die beiden kurdischen Autonomiebestrebungen. Als die westliche Anti-IS-Allianz vermehrt Angriffe gegen islamistische Terrorstellungen in Syrien flog, gab Ankara vor, sich ebenfalls vor allem diesen Zielen zu widmen. Doch nach westlichen Beobachtungen fielen mehr Bomben auf kurdische Milizen in ihrem Kampf gegen den IS.

Im Jahr 2012 empfing Erdogan den Hamas-Chef Ismail Haniyya.

Im Jahr 2012 empfing Erdogan den Hamas-Chef Ismail Haniyya.

Foto: dpa, tb mda cul

Selbst am Tag nach einem blutigen IS-Anschlag in Istanbul galt im Januar Erdogans größte Sorge einem Aufruf von über 1100 Wissenschaftlern zum Ende der Gewalt gegen Kurden. Und wenn westliche Politiker in Ankara über den Kampf gegen den Terror sprechen, müssen sie genau aufpassen, auch verstanden zu werden. Anti-Terror-Kampf, das ist für Erdogan zuerst das Vorgehen gegen Kurden in der Türkei, dann das Vorgehen gegen Kurden in Syrien. Dann kommt lange nichts - und erst dann rückt der IS in den Blick.

Türkei als Aktionsplattform

Die zweifelhaften Beziehungen zu Terroristen, Extremisten und Islamisten sind nun in der vertraulichen Bestandsaufnahme der Bundesregierung zusammengefasst. In die auf BND-Erkenntnissen beruhende Beschreibung der Türkei als "zentraler Aktionsplattform" für islamistische und terroristische Organisationen sind freilich nicht nur aktuelle Analysen eingeflossen. Die freundlichen Beziehungen etwa zur Hamas oder zu den ägyptischen Muslimbruderschaften reichen Jahre zurück.

Mit seiner eigenwilligen Priorisierung hat Erdogan bislang allerdings nicht viel erreicht - ganz im Gegenteil. Die syrischen Kurden meldeten gerade trotz türkischer Bekämpfung einen neuen militärischen Erfolg gegen den IS. Sie behaupten, die Stadt Sarrin erobert und damit wichtige Nachschubwege des IS unterbrochen zu haben. Und zwar mit Unterstützung sowohl der Freien Syrischen Armee, also der gemäßigten Rebellen, als auch durch kurdische Peschmerga aus dem Irak. Setzt sich das fort, gehört Erdogan zu den Verlierern. Aber auch sein Kalkül, mit Hilfe des IS den syrischen Machthaber loszuwerden, geht immer weniger auf, seit Russland das Regime stützt, nach vorne bringt und auch im Westen die Bereitschaft wächst, Assad zumindest für eine Übergangszeit zu akzeptieren. Damit hätte Erdogan auch hier auf die falsche Konstellation gesetzt.

"Kritik muss öffentlich werden"

Das Regierungspapier zeugt zudem davon, für wie verlässlich die westliche Administration die türkische Politik hält. Damit hätte sich Erdogan auch hier auf die Verliererstraße begeben. Die Opposition in Berlin fordert daraus nun Konsequenzen. "Eine solch gravierende Kritik muss endlich öffentlich und nicht nur in klassifizierten Unterlagen geäußert werden", fordert Grünen-Außenexperte und Nahostkenner Omid Nouripour. "Das Dokument zeigt doch, dass die Bundesregierung mit ihrer Politik der Leisetreterei Erdogan gegenüber gescheitert ist", hält Nouripour fest. Nötig sei eine offizielle Kritik Deutschlands an den zahlreichen Grundrechtsverletzungen nach dem Putschversuch. Die Grünen warnen: "Wenn die Türkei endgültig eine Diktatur nach russischem Modell geworden ist, dann ist es zu spät."

SPD-Außenexperte Rolf Mützenich fürchtet um das deutsch-türkische Verhältnis, nachdem die vertrauliche Einschätzung an die Öffentlichkeit gelangte. Bei einer derart sensiblen und weitreichenden Einschätzung hätte auch das Auswärtige Amt miteinbezogen werden müssen, so Mützenich. Allerdings werden Regierungsantworten an Abgeordnete in der Regel zwischen den Ressorts der Regierung abgestimmt. Es handele sich um ein "Büroversehen", teilte das Innenministerium mit.

Die Linke warf der Bundesregierung eine Täuschung der Öffentlichkeit vor, indem sie nach außen ein positives Bild von der türkischen Regierung zeichne, das mit den vertraulichen Erkenntnissen nicht übereinstimme. Die Regierung dürfe sich nun nicht länger daran mitschuldig machen, die Türkei als "Heimstatt des bewaffneten Islamismus zu etablieren", sagte Linken-Außenexpertin Sevim Dagdelen.

(may-)
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