Parlamentswahlen in der Türkei Erdogans AKP verliert absolute Mehrheit

Istanbul · Nach mehr als zwölf Jahren Alleinregierung hat die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag bei der Parlamentswahl in der Türkei die Regierungsmehrheit verloren.

Recep Tayyip Erdogan: Das ist der türkische Staatspräsident
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Laut dem Fernsehsender CNN-Türk lag die AKP nach Auszählung von 90,5 Prozent der Stimmen bei 41,4 Prozent der Stimmen. Die Kurdenpartei HDP schaffte den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde und erreichte 12,1 Prozent. Sie stellt künftig 77 Abgeordnete.

Der Sitzanteil der AKP im neuen Parlament dürfte damit bei 259 liegen, das sind 17 Mandate weniger, als zur Fortsetzung der Alleinregierung nötig gewesen wären. Bei der Wahl im Jahr 2011 hatte die AKP fast 50 Prozent der Stimmen und 328 Mandate erreicht. Im Parlament sind neben der AKP und der HDP die säkulare CHP mit 25 Prozent und 129 Sitzen sowie die rechtsgerichtete MHP mit knapp 17 Prozent und 83 Abgeordneten vertreten.

Eine Regierungsbildung wird unter diesen Umständen schwierig. Der hochrangige AKP-Politiker Burhan Kuzu sagte, baldige Neuwahlen seien unausweichlich. Laut der Verfassung kann der Staatspräsident neue Wahlen anordnen, wenn keine neue Regierung zustandekommt.

Die vier wichtigsten Parteien und ihre Vertreter
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Der Wahlausgang war auch eine klare Niederlage für Erdogan persönlich. Der Präsident hatte trotz des Neutralitätsgebotes der Verfassung für die AKP Wahlkampf gemacht und für die Umstellung auf ein Präsidialsystem geworben. Dieses Projekt wurde mit der Parlamentswahl von den Wählern klar abgelehnt. Kuzu sagte, die AKP habe das schlechte Wahlergebnis "nicht verdient", weil sie in den vergangenen Jahren stets der Bevölkerung gedient habe.

Klare Niederlage für Erdogan

Laut den Wahlanalysen bei CNN-Türk und anderen Fernsehsendern profitierte die HDP vor allem von Wählern, die Erdogans Präsidialpläne ablehnten. Bereits im Vorfeld war spekuliert worden, dass der HDP bei der Wahl eine Schlüsselrolle zukommen könnte. Die HDP vertritt die kurdische Minderheit in der Türkei und ist außerdem zum Sammelbecken all jener geworden, die unzufrieden mit der Regierung der AKP sind.

Recep Tayyip Erdogan: Der Weiße Palast des türkischen Präsidenten
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Der Weiße Palast des türkischen Präsidenten Erdogan

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Foto: dpa, tb mda

Zudem verlor die AKP im kurdischen Südosten der Türkei erheblich an Boden. Beobachter machten dafür unter anderem die Tatsache verantwortlich, dass sich die AKP-Regierung im vergangenen Jahr geweigert hatte, der kurdischen Stadt Kobane im Norden Syriens im Kampf gegen die Dschihadisten-Miliz Islamischer Staat (IS) zu helfen.

Anhänger und Gegner der HDP warfen sich am Sonntag über soziale Medien gegenseitig Wahlmanipulationen vor. In der südosttürkischen Stadt Sanliurfa wurden bei Zusammenstößen von Anhängern verschiedener Parteien 15 Menschen verletzt, wie die Nachrichtenagentur DHA meldete. Der Menschenrechtsverein IHD beklagte nach einem Bericht der Online-Zeitung "Radikal" Unregelmäßigkeiten an verschiedenen Orten.

Das Wahlkampfende war von schwerer Gewalt überschattet worden. Bei einem Sprengstoffanschlag auf eine HDP-Veranstaltung in der Kurden-Metropole Diyarbakir wurden am Freitagabend nach Angaben von Polizei und Ärzten mindestens 3 Menschen getötet und 220 verletzt. Ministerpräsident und AKP-Chef Ahmet Davutoglu sagte nach seiner Stimmabgabe laut DHA, ein Verdächtiger sei festgenommen worden. Der Hintergrund der Tat blieb weiter unklar.

Im Wahlkampf war die HDP immer wieder zum Ziel von Anschlägen und Übergriffen geworden. Nach Angaben des Innenministeriums schützten am Sonntag mehr als 400.000 Sicherheitskräfte die Wahl. Zehntausende Wahlbeobachter waren im Einsatz.

56,6 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen: 53,7 Millionen in der Türkei und 2,9 Millionen im Ausland. Bis Ende Mai konnten Auslandstürken in türkischen Botschaften und Konsulaten wählen. Von den 1,4 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland gaben gut 480 000 ihre Stimme in der Bundesrepublik ab.

(dpa/AFP)
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