Terror in Nahost Israel hat gelernt, mit der Angst zu leben

Düsseldorf · Die terroristische Bedrohung ist in dem jüdischen Staat Alltag. Die Menschen haben sich wohl oder übel damit abgefunden und akzeptieren die Einschränkung ihrer Freiheit durch die allgegenwärtigen Kontrollen. Europas Haltung zum islamistischen Terror finden viele naiv.

 Israelische Sicherheitskräfte patroullieren auf der Via Dolorosa in der Altstadt Jerusalems.

Israelische Sicherheitskräfte patroullieren auf der Via Dolorosa in der Altstadt Jerusalems.

Foto: afp, GT

Bombenattentate, Raketenangriffe und neuerdings Attacken mit Messern, Autos oder Baumaschinen - für Israel ist die terroristische Bedrohung seit Jahrzehnten Alltag. Der prüfende Blick auf den Sitznachbarn im Bus ist vielen Israelis ebenso in Fleisch und Blut übergegangen wie die Gelassenheit, mit der sie die zahllosen Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. Israel hat lernen müssen, mit der Terrorangst zu leben.

Müssen wir uns in Europa auf ein Leben wie in Israel einstellen? Dort gelangt man in keine Behörde, in kein Theater und in keinen Bahnhof, ohne wenigstens einen Metalldetektor passiert zu haben. Selbst viele Geschäfte besitzen einen, ebenso Schulen oder Kindergärten. Und fast überall stehen Wachmänner, meist mit einer Waffe am Gürtel. Vor Parkhäusern werden die Kofferräume der Autos inspiziert, und natürlich kommt niemand unkontrolliert in ein Flughafengebäude, wo neben der Durchleuchtung obendrein eine lange Befragungsprozedur durch speziell geschultes Sicherheitspersonal auf viele Reisende wartet.

Attentäter wissen, dass sie in Israel nur geringe Überlebenschancen haben. Viele werden sofort erschossen, nicht selten von Passanten. Denn viele Israelis tragen Waffen. Darunter zunächst die zahlreichen Angehörigen von Militär und Polizei, aber auch rund 300.000 Privatpersonen, die einen Waffenschein besitzen. Allerdings herrschen in Israel keine amerikanischen Verhältnisse: Längst nicht jeder erhält eine Waffenlizenz, und es wird eine Schießausbildung verlangt.

Wo immer möglich, schottet sich Israel ab, mit Mauern und Stacheldraht. Das umstrittenste Bauwerk gegen mögliche terroristische Bedrohungen ist eine 759 Kilometer lange Mauer, mit deren Errichtung Israel nach einer Welle verheerender Selbstmordanschläge 2002 im Westjordanland begann. Die Sperranlage zerschneidet brutal palästinensische Dörfer und wird international scharf kritisiert. Die meisten Israelis sehen das anders, denn seit ihrem Bau ist die Zahl schwerer Anschläge durch palästinensische Täter im israelischen Kernland drastisch zurückgegangen.

Akzeptiert wird aber auch die intensive Überwachung durch die Geheimdienste. Von der Aufklärungsarbeit und der beispielhaften Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen können die Europäer sicherlich einiges lernen. Immer wieder konnte Israel durch Infiltration von Terrorzellen Anschläge vereiteln.

Der Sicherheitsaufwand stößt an Grenzen

Dass der gewaltige und sehr kostspielige Sicherheitsaufwand seine Grenzen hat, zeigt freilich die jüngste Gewaltwelle der sogenannten Facebook-Intifada. Es sind nicht länger trainierte Terrorkommandos, sondern den Sicherheitsdiensten bislang völlig unbekannte Täter, die wie aus heiterem Himmel Passanten angreifen. Besonders viele Minderjährige sind darunter, die in den sozialen Netzwerken Anleitungen gefunden haben, wie man mit einem Messer oder einer Schere töten kann. Weil die meisten potenziellen Terrorziele in Israel inzwischen so gut gesichert sind, weicht der Terror eben aus auf das kleinste denkbare Ziel, das zugleich am verwundbarsten ist: den einzelnen Bürger.

Der israelische Geheimdienst veröffentlichte Ende Februar eine Statistik, wonach im vergangenen Jahr mit 28 Menschen so viele Israelis wie seit 2008 nicht mehr zum Opfer von Terroranschlägen geworden sind. Eine allerdings vergleichsweise kleine Zahl, wenn man bedenkt, dass nach Angaben des israelischen Außenministeriums seit 2000 nahezu 10.000 Israelis bei Terrorattacken oder Gewaltausbrüchen getötet oder verletzt wurden.

Das Gefühl der steten Bedrohung lässt die meisten Israelis glauben, dass es keine ernsthafte Alternative zur Abschottung und zur Politik der Härte gibt. Gleichzeitig sind sie zu Meistern der Verdrängung geworden, um mit dem Gefühl umzugehen, dass jede Busfahrt, jeder Einkauf und jeder Kinobesuch tödlich enden kann. Einige reagieren mit Depressionen oder Zukunftsangst, aber es wäre falsch zu glauben, Israel sei ein Land im Schockzustand. Und trotz der ständigen Existenzbedrohung hat sich Israel die offenste und liberalste Gesellschaft des Nahen Ostens bewahrt.

Europas Umgang mit dem Terror halten viele in Israel für naiv. Sie denken wie Dan Schueftan, Leiter des Zentrums für nationale Sicherheitsstudien an der Universität Haifa. Die europäischen Gesellschaften könnten sich nicht mehr selbst verteidigen, glaubt er, sie seien nicht mehr zur nötigen Härte gegenüber ihren Feinden in der Lage. "Wenn sie in Belgien weiter Schokolade essen und das Leben genießen und nicht klar feststellen, dass ein Teil der Muslime, die dort leben, Terror organisieren, dann können sie sie auch nicht bekämpfen", sagte am Mittwoch der israelische Geheimdienstminister Israel Katz.

(RP)
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