Taliban-Terror in Afghanistan Wieder werden Mädchen von Schulen ausgeschlossen

Kabul · Afghanistans größte Errungenschaft nach dem Sturz der Taliban war es, dass Millionen Kinder - insbesondere Mädchen - wieder in die Schule gehen konnten. Dieser Erfolg ist im Süden und in anderen Kampfgebieten stark bedroht.

 Ein Lehrer bringt Schulkinder nach einem Anschlag in Jalalabad in Sicherheit.

Ein Lehrer bringt Schulkinder nach einem Anschlag in Jalalabad in Sicherheit.

Foto: ap

Hunderte Schulen sind zur Schließung gezwungen. Mal sind Kämpfe der Grund, mal die Einschüchterung durch die Taliban. Manchmal ist auch beides daran schuld, wie das Beispiel der Loy-Manda-Oberschule in der Provinz Helmand, einer der Hochburgen der Taliban, zeigt.

Als die radikalislamischen Extremisten im vergangenen Winter ihre Offensive starteten, geriet die Schule im Bezirk Nad Ali zwischen die Fronten. "Wir hatten sechs Räume, Bücher, Stühle. Aber jetzt ist alles zerstört", sagt Rektor Hekmatallah, der wie viele Afghanen nur einen Namen trägt.

Hekmatallah arbeitet auf eine Wiedereröffnung hin. Doch dafür braucht er die Einwilligung der Taliban, wenn er nicht zum Ziel ihrer Rache werden will. Und die Taliban wollen die Erlaubnis nur geben, wenn in der Schule nur Jungen und keine Mädchen unterrichtet werden und der Lehrplan sich nach ihrer radikalen Auslegung des Islams richtet.

Das Gebiet um die Schule wurde in der Zeit der Kämpfe von den Taliban vermint. Die Regierungstruppen sind nur rund 40 Meter von der Schule entfernt stationiert - und damit ein potenzielles Ziel für die Angriffe der Extremisten. In diesem Szenario aus Zerstörung und Gefahr kann keiner der 650 Schüler unterrichtet werden.

Ihr Schicksal ist das einer wachsenden Zahl von Kindern in den umkämpften Regionen des Landes. Im Jahr 2015 mussten 615 Schulen in den elf unruhigsten Provinzen des Landes wegen der Kämpfe geschlossen werden, wie das Bildungsministerium mitteilte. Bereits im Jahr davor waren weitere 600 Schulen in diesen Gegenden betroffen gewesen.

Beinahe die Hälfte der Schulschließungen gab es in den letzten Monaten des vergangenen Jahres, als die Taliban anders als in früheren Jahren keine Winterpause bei ihren Militäraktionen einlegten. Vor allem die wärmeren südlichen Provinzen seien davon betroffen gewesen, erklärt Ministeriumssprecher Mudschib Mehrdad. Vergangenes Jahr mussten 105 der 545 Schulen in Helmand den Betrieb einstellen, im benachbarten Kandahar waren es 150 von 545. Am schlimmsten war es in Sabul, wo 140 Schulen geschlossen blieben - mehr als die Hälfte der insgesamt 242 Schulen.

Nun kommt auch noch der IS

Nach Zählungen der Vereinten Nationen starben 25 Schüler, Lehrer und andere Schulbedienstete bei Angriffen der Taliban. Und vom Osten droht eine andere Gefahr: In der Provinz Nangarhar gewann die Terrormiliz Islamischer Staat die Kontrolle über einige Bezirke, verbot Frauen zu arbeiten und Mädchen zur Schule zu gehen. In einigen Fällen kam es sogar zu Zwangsehen, wie Vertriebene berichten.

Doch der ideologische Hass auf Schulen und Bildung für Mädchen ist nicht der einzige Grund, wieso immer mehr Schulgebäude geschlossen werden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet, dass das afghanische Militär Waffen in und um Schulen in Kampfgebieten deponiert und diese als befestigte Geschützstellungen nutzt - ungeachtet der Tatsache, dass Präsident Aschraf Ghani die militärische Nutzung von Schulgebäuden im vergangenen Jahr verboten hat. Die Nutzung durch die Armee bringt die Kinder in "die große Gefahr eines Angriffs von Aufständischen, die die Schulen dann als militärische Ziele sehen", sagt HRW-Experte Ahmad Schudscha.

Während ihrer Herrschaft hatten die Taliban die Mädchen aus den Schulen verbannt. Nach ihrem Sturz kehrten die Mädchen und Frauen wieder an Schulen und Universitäten zurück. Mit Finanzierung der internationalen Gemeinschaft stieg die Zahl der Kinder in Schulen nach Zahlen der Vereinten Nationen von 900.000 im Jahr 2001 auf 8,3 Millionen im Jahr 2011. Der Anteil der Mädchen wuchs demnach von nahezu Null auf 39 Prozent.

Schulen geraten in die Kampfzone

Doch in den Bezirken, in denen die Taliban inzwischen wieder erstarkt sind, werden nun wieder Mädchen aus den Klassenzimmern ausgeschlossen und den Jungen wird ein radikalislamischer Lehrplan aufgezwungen.

In Helmand, wo die Taliban wichtige Schmuggelrouten für Drogen und andere Güter kontrollieren, seien bei den schweren Kämpfen der vergangenen Monate mehrere Schulen wie Loy Manda in die vorderste Frontlinie geraten, sagt Abdul Matin Dschafar, Leiter der örtlichen Bildungsbehörde. Im Bezirk Gereschk sei ein Gebäude seiner Behörde von Aufständischen angegriffen und komplett zerstört worden. Nun habe man keine Büros mehr, von denen aus man arbeiten könne.

Mohammed Mosa nahm seine Kinder aus der Schule in Nad Ali, nachdem die Kämpfe begonnen hatten. Er schickte sie in die Provinzhauptstadt Laschkar Gah - nicht nur wegen ihrer Sicherheit, sondern auch um ihnen eine umfassende Bildung zukommen zu lassen. Denn die Taliban hatten den Eltern gesagt, dass sie die Schule zwar wieder öffnen würden - aber nur wenn sie einen der Kämpfer fänden, der sicherstelle, dass nur islamische Themen gelehrt würden, wie Mosa sagt.

(felt/ap)
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