Schuldenkrise Tsipras blitzt mit neuen Vorschlägen ab

Athen · Nur Stunden vor der technischen Pleite Griechenlands bittet Alexis Tsipras um einen 29-Milliarden-Kredit. Am Abend heißt es, Athen sei unter Umständen bereit, das geplante Referendum auszusetzen. Doch kurzfristige Hilfen will die Eurogruppe nicht gewähren.

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Dies teilte Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem am Dienstagabend mit. Damit verliert das pleitebedrohte Land endgültig den Zugriff auf Hilfsmittel von insgesamt rund 18 Milliarden Euro. Für eine erneute Verlängerung des Programms sei es zu spät, sagte Dijsselbloem.

Zuvor hatte eine Zeitung aus Malta berichtet, dass die griechische Regierung bereit sei, unter Bedingungen das für Sonntag geplante Referendum abzusagen. Die Zeitung "Times of Malta" zitierte auf ihrer Internetseite am Dienstag den maltesischen Ministerpräsideenten Joseph Muscat mit den Worten, Athen habe angeboten, die Volksabstimmung abzusagen, wenn die Verhandlungen mit der EU fortgesetzt würden. Dem Bericht zufolge äußerte sich Muscat im Parlament.Der Regierungschef sagte der Zeitung zufolge zudem, er sei nicht sicher, ob das Angebot aus Griechenland ein Durchbruch oder eine Taktik sei, um Zeit zu gewinnen.

Am Dienstagabend berieten die Finanzminister der Eurogruppe in einer Telefonkonferenz über die neuen griechischen Vorschläge. Alexis Tsipras hatte zur einhelligen Überraschung der Gläubiger darum gebeten, ein neues Hilfspaket für zwei Jahre aufzulegen. Allem Anschein setzt er alles daran, mit den Gläubigern wieder an den Verhandlungstisch zu kommen.

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Das dürfte ihm gelingen. Mit dem Wunsch nach kurzfristigen Hilfen blitzte Tsipras jedoch ab. Die Euro-Finanzminister lehnten die Bitte Griechenlands um Verlängerung des um Mitternacht auslaufenden Hilfsprogramms ab, wie Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem am Abend mitteilte. Damit verliert das pleitebedrohte Land endgültig den Zugriff auf Hilfsmittel von insgesamt rund 18 Milliarden Euro. Für eine erneute Verlängerung des Programms sei es zu spät, so Dijsselbloem.

Ähnlich äußerten sich auch Finanzminister der Eurogruppe über Twitter. Eine kurzfristige Verlängerung des griechischen Hilfsprogramms und ein Schuldenschnitt sei nicht möglich, schrieb der finnische Minister Alexander Stubb. Und auch der slowakische Finanzminister Peter Kazimir schrieb über Twitter, eine Verlängerung des bisherigen griechischen Hilfsprogramms über Dienstag hinaus sei nicht möglich.

So wird Griechenland um Mitternacht faktisch zahlungsunfähig, weil es den 1,6-Milliardenkredit des IWF nicht zurückzahlen kann. Ob der IWF dem Land allerdings auch formal eine Pleite bescheinigen wird, steht in den Sternen. Damit hat die Organisation einen Monat Zeit.

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Foto: dpa, sp ase tba

Am Abend lief es somit zeitgleich auf weitere Verhandlungen am Mittwoch hinaus. Griechenland werde neue Vorschläge in der Schuldenkrise unterbreiten, teilte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem mit. Die Eurogruppe werde am selben Tag darüber beraten.

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Foto: dpa, el ase

Zuvor hatte Athen Zahlen auf den Tisch gelegt: Die griechische Regierung hat bei den Europartnern einen zweijährigen Kredit in Höhe von rund 29 Milliarden Euro beantragt. Diese Summe solle ausschließlich zur Ablösung fälliger griechischer Schulden im Zeitraum 2015 bis 2017 verwendet werden, heißt es in dem Brief an Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Neben dieser neuen Finanzhilfe aus dem Euro-Hilfsfonds ESM bat Ministerpräsident Alexis Tsipras darum, dass die bisherigen Schulden beim früheren Rettungsfonds EFSF restrukturiert werden. Diese Schulden sind in der Summe von 29 Milliarden Euro nicht enthalten, weil sie erst in späteren Jahren fällig werden. Ferner strebt Athen eine Brückenfinanzierung an: "Bis der Hilfskredit bewilligt und in Kraft ist, bittet Griechenland um eine Verlängerung des (bestehenden) Programms für einen kurzen Zeitraum, um sicherzustellen, dass keine technische Zahlungsunfähigkeit ausgelöst wird."

Außerdem will die Regierung in Athen einem Medienbericht zufolge zufolge doch die Kredite an den IWF zurückzahlen. Wie die "Bild"-Zeitung ohne Angabe einer Quelle berichtet, wandelte sie den Antrag, die etwa 1,6 Milliarden Euro überhaupt nicht zu zahlen, in eine Bitte um Verschiebung um.

Die Finanznachrichtenagentur Bloomberg hatte zuvor gemeldet, die Regierung in Athen wolle die Euro-Partner um ein neues, zweijähriges Hilfsprogramm aus dem Euro-Rettungsfonds ESM bitten.

Deutliche Worte von Merkel

Nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird Deutschland vor einem Referendum allerdings nicht über den neuen Antrag Griechenlands auf ein drittes Hilfspaket beraten. Das machte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag in einer Sitzung der Unionsfraktion deutlich. Wohl auch, weil die Bundesregierung abermals kalt erwischt wurde.

Sie kenne den Antrag bislang nicht und habe nichts Schriftliches gesehen, sagte Merkel nach Angaben von Teilnehmern. Aus Regierungskreisen erfuhr die Deutsche Presse-Agentur, wenn der griechische Premier Alexis Tsipras die für Sonntag angesetzte Volksabstimmung jedoch absage, könne eine neue Lage entstehen und unter Umständen früher beraten werde.

Schäuble warnt Draghi

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte derweil vor der Fraktion, mit dem Auslaufen des zweiten Hilfspakets gebe es eine völlig neue Situation auch bei den EZB-Nothilfen für die griechischen Banken. Schäuble habe EZB-Chef Mario Draghi vor einer Aufstockung der Ela-Hilfen gewarnt, berichteten Teilnehmerkreise. Er könne Draghi nicht raten, "diese Brücke zu beschreiten", sagte Schäuble

Ein neues Hilfsprogramm unter dem Euro-Rettungsschirm ESM setzt - neben einem offiziellen Antrag Athens - neue Verhandlungen mit den Geldgebern voraus. Bisher gemachte Zusagen und Angebote der Geldgeber wären erst einmal hinfällig. Nach den Worten von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vom Montagabend würden Verhandlungen dann "ganz von vorne" anfangen, "denn dieses Programm, das wir hatten, endet morgen (Dienstag) Abend, und dem ist dann auch die Grundlage entzogen". Tsipras' Regierung aus der Linkspartei Syriza und der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen (Anel) hat bislang nicht dem von den Geldgebern geforderten Spar- und Reformkurs zugestimmt.

"Heute Abend, genau 24 Uhr"

Damit sollte Dienstagnacht der bisherige Rettungsschirm eingeklappt werden, unter dem Griechenland seit dem Frühjahr 2010 vor der Pleite geschützt ist. Seither hat das Land Hilfszusagen von 240 Milliarden Euro erhalten. Ohne Einigung auf ein neues Reformpaket dürfen aber die noch offenen Hilfen aus dem internationalen Hilfsprogramm nicht gezahlt werden. Die Geldgeber -Internationaler Währungsfonds (IWF), Europäische Zentralbank (EZB) und die Euro-Partner in Europa - hatten zuletzt 15,5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt.

"Heute Abend, genau 24.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit, läuft das Programm aus. Und ich kenne keine belastbaren anderen Hinweise", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag in Berlin. Sie bekräftigte, dass Europa auch nach Auslaufen des Hilfsprogramms die Gesprächsfäden mit Griechenland nicht kappen werde.

Türkei bietet Hilfe an

Derweil hat sogar die Türkei Griechenland bei der Überwindung der wirtschaftlichen und finanzielle Krise Hilfe angeboten. Das Land biete an, die Zusammenarbeit mit Athen in Wirtschaftszweigen wie Tourismus, Energie und Handel zu vertiefen, sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Dienstag. Sobald die neue türkische Regierung stehe, werde er ein ranghohes Wirtschaftstreffen einberufen. Die Regierung in Ankara habe kein Interesse daran, Griechenland leiden zu sehen, sagte der Regierungschef weiter.

Die Türkei und Griechenland waren lange Zeit verfeindet, doch in den zurückliegenden Jahren bemühten sie sich um eine Annäherung. Ein Abgeordneter der türkischen Opposition schlug sogar vor, Athen beim Zurückzahlen der am (heutigen) Dienstag fällig werdenden Schulden von 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds auszuhelfen.

(dpa/AFP)
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