Ankara-Besuch des Außenministers Deutsch-türkischer Schlagabtausch auf offener Bühne

Ankara · Bevor Steinmeier und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu die Bühne zur Pressekonferenz betreten, hört man sie laut lachen. Der Empfang des künftigen Bundespräsidenten in der Türkei ist hochrangig und unerwartet herzlich – auf den ersten Blick. Dann flogen die Fetzen.

 Frostige Stimmung in Ankara: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier trifft seinen türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu.

Frostige Stimmung in Ankara: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier trifft seinen türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu.

Foto: ap, BO

Bevor Steinmeier und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu die Bühne zur Pressekonferenz betreten, hört man sie laut lachen. Der Empfang des künftigen Bundespräsidenten in der Türkei ist hochrangig und unerwartet herzlich — auf den ersten Blick. Dann flogen die Fetzen.

Außenminister Cavusoglu nennt Steinmeier seinen "werten Freund". Die inhaltlichen Kontroversen zwischen Deutschland und der Türkei aber sind so hart, dass sich ein Schlagabtausch auf offener Bühne nicht vermeiden lässt. Nach der Begegnung ist die Stimmung frostig.

Bei Antritt der Reise stand noch nicht fest, ob Steinmeier auch Ministerpräsident Binali Yildirim und Präsident Recep Tayyip Erdogan wird treffen können. In den letzten Monaten herrschte im deutsch-türkischen Verhältnis Eiszeit. Dass die Türken die von den Deutschen gewünschten Zusammenkünfte dann doch ermöglichten, wird wohl an Steinmeiers künftigem Amt liegen. So geht von diesem Besuch Steinmeiers in Ankara die doppelte Botschaft aus, dass Deutschland und die Türkei ihre Beziehungen gerne wieder normalisieren würden, dem aber eine Menge Hürden im Weg stehen. Insbesondere beim Thema Meinungsfreiheit und in der Frage, welche Personen Deutschland als Terroristen an die Türkei ausliefern sollte, treten die Konflikte zutage.

Steinmeier spricht nach seinem Treffen mit dem Außenminister von einem "harten, nicht ganz einfachen Gespräch, das aber offen und ehrlich" gewesen sei. In der Diplomatensprache muss eine solche Formulierung als sehr hohe Eskalationsstufe gewertet werden. Beim Vorwurf der Türken, die Deutschen würden Terroristen Unterschlupf gewähren, vermeidet es der Noch-Außenminister präsidial zu reagieren. Er geht hart rein und sagt der Vorwurf sei "nicht nachvollziehbar" und "irritiere" ihn — auch das in der Diplomaten-Sprache ein Superlativ für Ärger und Widerspruch. Er erklärt, dass die PKK in Deutschland als Terror-Organisation behandelt und Terroristen vom Rechtsstaat verfolgt würden. Das spätere Gespräch mit Ministerpräsident Yildirim sei in diesen Punkten ähnlich wie das mit dem Außenminister verlaufen, heißt es hinterher aus Regierungskreisen.

Der deutsche Außenminister verweist auch auf die "Sorgen" der Deutschen über das, was sich nach dem Putsch in der Türkei ereignet hat. "Massenverhaftungen" sowie eine Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit. Aus Regierungskreisen heißt es hinterher, alle schwierigen Fragen seien zur Sprache gekommen — auch Rechtsstaatlichkeit, die Dauer und Reichweite des Ausnahmezustands sowie die Verhaftungen von Oppositionellen und Journalisten, Schließungen von Zeitungen und die Massenentlassungen.

Auf die Haltung der Türken, dass ein Besuch entweder der Regierung oder Oppositionellen und Zivilgesellschaft gelten solle, lässt er sich nicht ein. Steinmeier trifft Vertreter der Zivilgesellschaft, Journalisten und Juristen. Und bevor er mit Erdogan zusammenkommt, sitzt er mit Abgeordneten der linksgerichteten, prokurdischen HDP zusammen. Das Gespräch mit Erdogan dauerte zwei Stunden. Aus Regierungskreisen hieß es hinterher, es habe einen "intensiven und konzentrierten" Meinungsaustausch gegeben. Auch das ist keine Formulierung, die für Harmonie spricht.

Auf die Kritik am Vorgehen seiner Regierung reagiert Cavusoglu scharf. Er verweist auf die 246 "Märtyrer", die sich den Putschisten entgegen gestellt hätten und spricht von Beweisen gegen die Festgenommenen. Der türkische Außenminister beklagt sich auch, dass in Deutschland ein "Spion" hochrangig empfangen worden sei. Den Namen des früheren Cumhuriyet Chefredakteurs Can Dündar, der in Berlin einen Termin bei Bundespräsident Joachim Gauck hatte, erwähnt Cavusoglu nicht. Er meint ihn aber. So gibt ein Wort das andere und die Mienen der beiden Politiker frieren immer mehr ein.

Als Beweis dafür, in welchem Ausmaß der Putschversuch die Türkei ins Herz getroffen hat, führen die Gastgeber Steinmeier am Nachmittag zu einem zerstörten Teil des Parlamentsgebäudes, das am 15. Juli von den Putschisten angegriffen worden war.

Nach der von den Türken scharf kritisierten Armenien-Resolution des Bundestags ist es Steinmeiers erster Türkeibesuch. Der Außenminister war mit dem Vorsatz angereist, der europäisch-türkischen Eiszeit und insbesondere dem angespannten deutsch-türkischen Verhältnis mit einer Jetzt-erst-Recht-Haltung zu begegnen. Er hatte schon vor dem Abflug erklärt, es sei gut, dass Deutschland und die Türkei "endlich nicht mehr nur über Kameras miteinander reden".

Innerhalb der EU gehört Steinmeier zu jenen Außenministern, die nicht von sich aus die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen wollen. In Ankara setzt er die Botschaft, dass diese Frage die Türken selbst entscheiden müssten. Das kommt bei der türkischen Seite gut an, die ein Referendum über das zukünftige Verhältnis der Türkei zur EU plant. Allerdings könnten die Türken dieser Entscheidung selbst zuvorkommen, wenn sie in Folge des gescheiterten Putsches vom 15. Juli tatsächlich die Todesstrafe wieder einführen sollten. Ein Land, das Todesstrafe anwendet, kann nicht Mitglied der EU werden, da sind sich die Europäer alle einig.

Der Konflikt um die Armenien-Resolution immerhin trübt das deutsch-türkische Verhältnis nicht mehr entscheidend. Cavusoglu betont, mit der Erklärung der Bundesregierung, dass aus der Resolution keine rechtlichen Konsequenzen folgten, seien die Beziehungen auf dem Weg sich zu normalisieren.

Nach dem Besuch zog Steinmeier wie folgt Bilanz: "Das Vorgehen gegen oppositionelle Abgeordnete und die Zivilgesellschaft, Zeitungen, Radio- und Fernsehsender und zahllose Lehrer und Beamte entspricht bei weitem nicht unseren rechtsstaatlichen Standards und beschränkt sich längst nicht mehr auf die Verfolgung der Verantwortlichen für den gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli. Das habe ich in meinen Gesprächen genauso deutlich herausgestellt wie unsere Bereitschaft, auf der Grundlage unserer europäischen Werte mit der Türkei wieder eng und partnerschaftlich zusammenzuarbeiten", sagte Steinmeier kurz vor dem Heimflug.

(qua)
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