40 Jahre Haft für Radovan Karadžić Der Architekt des Massenmordes

Den Haag · Radovan Karadžić hat das schlimmste Verbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg mitzuverantworten: den Völkermord von Srebrenica. Jetzt wurde der 70-Jährige zu 40 Jahren Haft verurteilt.

 Radovan Karadžić am Tag seiner Verurteilung.

Radovan Karadžić am Tag seiner Verurteilung.

Foto: ap

Im Moment der Urteilsverkündung wirkte es so, als sei Radovan Karadžić taub oder als funktionierten seine Kopfhörer nicht. Still und ohne Regung stand er im Gerichtssaal 1 des UN-Kriegsverbrechertribunals, als der Vorsitzende Richter O-Gon Kwon das Wort an ihn richtete. 40 Jahre Haft für die systematischen Verbrechen während der Jugoslawienkriege, lautete der Richterspruch.

Als damaliger Präsident des serbischen Landesteils in Bosnien, der Republika Srpska, sei Karadžić eine zentrale Figur bei der Verbreitung von Propaganda gegen bosnische Muslime und Kroaten gewesen, betonte Kwon. Karadžić sei schuldig des Mordes, der Deportation und der Verfolgung von Minderheiten. Und: Er sei mitschuldig am Völkermord von Srebrenica. Kurz vor Ende des bosnischen Bürgerkriegs (1992-1995) kam es dort zwischen dem 11. und 13. Juli 1995 zum Massenmord an rund 8000 bosnischen Muslimen — hauptsächlich Männer und Jungen. Niederländische Blauhelmsoldaten hatten den bosnisch-serbischen Truppen die damalige UN-Schutzzone kampflos überlassen. Karadžić, so das Gericht, sei maßgeblich an dem Vernichtungsplan beteiligt gewesen, beziehungsweise wäre in der Lage gewesen, die Vernichtung zu stoppen. Karadžić kündigte Berufung an.

"Wir gedenken der 8372 Opfer"

Vor dem Gerichtsgebäude des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag hatten sich Dutzende Demonstranten versammelt. Darunter waren auch ehemalige serbische Gefangene und Bürger belagerter bosnischer Städte. Sie hielten Plakate in die Kameras der zahlreichen Fernsehteams: "Wir gedenken der 8372 Opfer" oder "Genozid darf nicht belohnt werden", riefen sie. Polizeibeamte patrouillierten mit Maschinengewehren durch die Massen.

Für Ermittler, Richter, Opfer und Angehörige war der Fall Karadžić ein Mammutprozess. Er dauerte sechs Jahre, produzierte 800.000 Seiten Gerichtsakten. 586 Zeugen wurden in 499 Sitzungstagen angehört. Nur wenige hatten die Massaker überlebt, weil sie sich tot stellten und unter den Leichen versteckten. Im Gericht schilderten sie Geschichten aus der Hölle — Taten, deren Brutalität man eigentlich nur aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs kannte. Doch all die schmerzliche Aufarbeitung, sie hat sich gelohnt: Die Verurteilung Karadžićs "verkörpert die Leistung dieses Tribunals", sagte Chefankläger Serge Brammertz. Für ihn ist Karadžić der "Architekt des Massenmordes".

Ein Mann aus einfachen Verhältnissen

Karadžić stammt aus einfachen Verhältnissen. Geboren wurde er in Montenegro, kam als Jugendlicher ins multiethnische Sarajevo. Er studierte Medizin und eröffnete später mit seiner Frau Liljana eine psychiatrische Praxis, in der er Menschen mit Neurosen und Depressionen behandelte. Er versuchte sich zudem als Dichter. Seine politische Karriere begann 1990 mit der Gründung der Serbisch-Demokratischen Partei (SDS), deren Vorsitzender Karadžić wurde. Als Parteichef sowie Präsident der Republika Srpska spielte er seine persönliche historische Rolle im jahrhundertelangen Kampf gegen die Muslime. Sein heiliges Ziel war es, alle Serben im auseinandergebrochenen Jugoslawien in einem Staat zu vereinen. Niemand Geringeres als Gott selbst habe seine Landsleute als "himmlisches Volk" auserkoren. Karadžićs Kreuzzug war geprägt von Barbarei und Mord.

1996 wurde ein internationaler Haftbefehl gegen ihn verhängt. Karadžić tauchte unter. 13 Jahre lang lebte er zeitweise mitten in Serbiens Hauptstadt Belgrad als Dragan David Dabić, vermutlich gedeckt vom serbischen Geheimdienst. Er praktizierte unbehelligt als "Wunderheiler" mit schlohweißem Haar, das zu einem Knoten zusammengebunden war. Dazu ein Vollbart. Eine nur scheinbar perfekte Maskerade. Am 21. Juli 2008 wurde Karadžić verhaftet.

"Großer Demokrat"

Das nun verhängte Urteil dürfte im ehemaligen Jugoslawien auf geteilte Meinungen stoßen. Viele werden es feiern und es einen Beweis dafür nennen, dass auch politische Großmächte noch nach Jahrzehnten zur Rechenschaft gezogen werden. Doch es wird auch jene mit verschlossenen Augen geben, die dieses Urteil für eine Farce halten. Es sind jene, die Karadžić für einen großen Demokraten halten. Noch am Montag wurde Karadžić Namenspatron für ein neues Studentenwohnheim in Pale nahe Sarajevo. Die serbische Landeshälfte wolle damit ihren Gründervater ehren, sagte Milorad Dodik, heutiger Präsident der Republika Srpska. Das Wohnheim heißt nun Dr. Radovan Karadžić. Seit heute ist es ein Synonym für einen verurteilten Kriegsverbrecher.

Im kommenden Jahr wird der Internationale Gerichtshof sein Urteil gegen den bosnisch-serbischen General Ratko Mladić (72) fällen. Mladić hatte das militärische Oberkommando beim Überfall auf Srebrenica. Er wurde 2011 festgenommen. Der frühere serbische Präsident Slobodan Milošević starb vor Abschluss seines Prozesses 2006 in Den Haag in seiner Zelle an einem Herzinfarkt. Er, Karadžić und Mladić waren das radikale Dreigestirn des Nationalismus im ehemaligen Jugoslawien.

(jaco)
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