US-Gesundheitsreform Obamas Sieg hat Schattenseiten

Washington (RPO). Über ein Jahr musste US-Präsident Obama um die Durchsetzung der Gesundheitsreform kämpfen. Die Zugeständnisse für seinen historischen Sieg im Repräsentantenhaus sind groß. Der Kampf um das Gesundheitsgesetz ist zudem noch nicht vorbei. Die oppositionellen Republikaner können die Reform im Senat weiter verzögern.

Leidenschaftliche Rede: Obama kämpft für Gesundheitsreform
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Washington (RPO). Über ein Jahr musste US-Präsident Obama um die Durchsetzung der Gesundheitsreform kämpfen. Die Zugeständnisse für seinen historischen Sieg im Repräsentantenhaus sind groß. Der Kampf um das Gesundheitsgesetz ist zudem noch nicht vorbei. Die oppositionellen Republikaner können die Reform im Senat weiter verzögern.

Ein Jahr und zwei Monate nach seinem Amtsantritt feiert US-Präsident Barack Obama seinen bisher größten politischen Erfolg: Nach hitziger Debatte verabschiedete der US-Kongress das Gesetz zur Gesundheitsreform. Damit wird erstmals fast allen Amerikanern eine finanzielle Absicherung im Krankheitsfall ermöglicht.

Absicherung für 32 Millionen Unversicherte

Das Gesetz wurde am Sonntagabend im US-Repräsentantenhaus mit 219 zu 212 Stimmen gebilligt. Mit dem neuen Gesetz sollen 32 Millionen bislang unversicherte Amerikaner eine Absicherung im Krankheitsfall bekommen — die Kosten werden auf mehr als 900 Milliarden Dollar beziffert.

Bald nach der Entscheidung trat Präsident Barack Obama vor die Kameras und sagte: "Wir haben weder Misstrauen noch Zynismus noch der Angst nachgegeben. Stattdessen haben wir bewiesen, dass wir immer noch ein Volk sind, das Großes leisten kann und seine größten Herausforderungen annimmt." Das Abstimmungsergebnis sei "die Antwort auf die Gebete aller Amerikaner, die so inständig gehofft haben, dass etwas getan wird mit einem Gesundheitssystem, das den Versicherungsunternehmen dient, aber nicht den einfachen Leuten".

34 Demokraten gegen Obama

Bis zuletzt warb Obama um noch wankelmütige Abgeordnete in den eigenen Reihen. Mit drei Stimmen über der erforderlichen absoluten Mehrheit fiel die Abstimmung denkbar knapp aus. In den Reihen der demokratischen Regierungspartei schlossen sich 34 Abgeordnete den oppositionellen Republikanern an und stimmten gegen das Gesetz. Ein in letzter Minute erzielter Kompromiss in der Frage der Finanzierung von Abtreibungen verhinderte, dass sich noch mehr Demokraten des konservativen Flügels dem Weißen Haus widersetzten.

Höhere Belastung für Besserverdienende

Zum Abschluss einer teilweise emotional geführten Debatte hatte Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi, die Abgeordneten der demokratischen Mehrheitspartei aufgerufen, "Geschichte für unser Land zu schreiben". Die Republikaner bekräftigten bis zuletzt ihre Ablehnung des Reformwerks. Sie kritisierten vor allem die hohen Kosten und das Vordringen staatlicher Regulierung in einen bisher privat geregelten Bereich.

Außerdem warnten sie davor, dass die Gesundheitsreform zu Kürzungen bei der bisherigen Krankenversicherung für Senioren mit der Bezeichnung Medicare führen werde. "Wir haben versagt, auf Amerika zu hören", sagte der republikanische Minderheitsführer John Boehner. Vor dem Kapitol unterstützten Demonstranten die Positionen der Republikaner.

220 zu 211 Stimmen

Nach der entscheidenden Abstimmung lehnte die gleiche Mehrheit einen letzten Versuch der Republikaner ab, das Gesetz noch einmal zu blockieren. Danach verabschiedete das Abgeordnetenhaus eine Vorlage mit Änderungen und Ergänzungen zur Gesundheitsreform mit 220 zu 211 Stimmen. Dieses Gesetz geht nun noch an den Senat.

Medicaid wird erheblich ausgeweitet

Einschließlich dieser zusätzlichen Bestimmungen soll das Gesundheitssystem auf eine völlig neue Grundlage gestellt werden. Die bisherige Gesundheitsversicherung für Bedürftige, Medicaid, wird erheblich ausgeweitet. Staatliche Unterstützung erhalten auch Familien mit einem Jahreseinkommen bis 88.000 Dollar (65.000 Euro).

Eltern können ihre Kinder bis zu einem Alter von 26 Jahren in ihrer Familienversicherung einbeziehen. Finanziert werden die Ausgaben zum Teil mit einer höheren Abgabenlast für Haushalte mit einem Einkommen von mehr als 200.000 Dollar (147.600 Euro) bei Ledigen oder 250.000 Dollar (184.500 Euro) bei Verheirateten.

Auch wenn die Reform für Barack Obama einen historischen Sieg markiert, bleibt sie inhaltlich weit von seinen ursprünglichen Vorstellungen entfernt. Der US-Präsident hatte lange Zeit ein Mischsystem favorisiert, das Kunden die Wahl zwischen privaten und gesetzlichen Krankenkassen ermöglicht. Letztendlich musste er aber den konservativen Kräften in seiner eigenen Partei nachgeben und auf die so genannte "Public Option" verzichten. Das heißt, auch künftig wird es in den USA nur private Kassen geben.

Strengere Aufsicht für Versicherungswirtschaft

Allerdings wird die Versicherungswirtschaft einer strengeren Aufsicht der Behörden unterstellt. Die Unternehmen der Branche dürfen Versicherungsnehmer nicht mehr wegen ihrer Krankengeschichte ablehnen oder bestehende Verträge kündigen, wenn eine mit hohen Kosten verbundene Krankheit eintritt.

Auch wenn Obama jetzt die Beschlüsse zur Gesundheitsreform unterzeichnet, sind für ihn die Auseinandersetzungen mit den Gegnern der Reform noch keineswegs abgeschlossen. Die Demokraten mussten nämlich zu einem Verfahrenstrick greifen, um das Gesetz überhaupt unterschriftsreif zu bekommen. Dieser Trick könnte Obamas Kampf noch um einige Zeit verlängern.

Reform kommt dank Verfahrenstrick

So gibt es im Kongress nicht nur ein Reformgesetz, sondern zwei: eines wurde vom Senat beschlossen, das zweite vom Repräsentantenhaus. Da sich beide Gesetzestexte stark unterscheiden, hätte der Vermittlungsausschuss im Kongress eigentlich eine einheitliche Kompromissversion aushandeln müssen.

Problematisch wäre allerdings dabei gewesen, dass die Neufassung wieder den beiden Kongresskammern hätte vorgelegt werden müssen. Die Demokraten hätten im Senat mindestens 60 Stimmen für die Verabschiedung gebraucht, allerdings haben sie dort akutell nur 59. Deshalb entschloss sich Nancy Pelosi, Präsidentin des Repräsentantenhauses, zu einem parlamentarischen Kunstgriff, der sich im amerikanischen Politiksystem "Reconciliation" nennt.

In diesem Fall billigt das Respräsentantenhaus zunächst einen Gesetzestext des Senats im Wortlaut und verabschiedet im Anschluss noch ein Korrekturpaket ("Reconciliation Package") mit Änderungen zu dem zuvor beschlossenen Gesetz. Genau so verlief das Prozedere am Sonntagabend im Kapitol in Washington.

Weitere Blockaden im Senat

Jetzt muss noch das Korrekturpaket vom Senat gebilligt werden, doch dafür sind bereits 51 Stimmen ausreichend. Der Senat wird am Dienstag mit der Debatte beginnen. Sollte die einfache Mehrheit zustande kommen, könnte die Reform des amerikanischen Krankenversicherungssystems bereits Ende dieser Woche in Kraft treten.

Allerdings haben die Republikaner bereits damit gedroht, alle bürokratischen Mittel einzusetzen, um Obamas Verfahrenstrick noch auszubremsen. So könnten die Senatoren noch gegen verschiedene Punkte in dem Korrekturpaket Einspruch einlegen, wenn sie glauben, dass dadurch die Verfahrensregeln des Senats verletzt wurden.

Sollte der Chef-Parlamentarier die Einsprüche akzeptieren, könnte ihn am Ende Vizepräsident Biden, der zugleich Präsident des Senats ist, überstimmen und so den Weg für das Korrekturpaket freimachen. Obama sagte, er hoffe, dass es nicht wieder zu parlamentarischen Manövern komme: "Ich hoffe, dass dies nicht der Fall ist. Es ist an der Zeit, diese Debatte abzuschließen und mit der harten Arbeit zu beginnen, um diese Reform anständig im Interesse des amerikanischen Volks umzusetzen."

(apd/tim)
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