Islamisches Recht in Libyen Neustart mit der Scharia

Düsseldorf (RPO). Der Vorsitzende des libyschen Übergangsrats hat in einer Rede in Tripolis die ersten Züge des Libyens von morgen skizziert. Das Land soll ein demokratische Rechtsstaat werden. Wichtigste Grundlage sei das islamische Recht der Scharia. Schlägt damit die Stunde der Islamisten?

 Mustafa Abdel Dschalil, Chef des Übergangsrates in Libyen, setzt auf einen moderaten Islam.

Mustafa Abdel Dschalil, Chef des Übergangsrates in Libyen, setzt auf einen moderaten Islam.

Foto: EPA, dpa

Vor tausenden jubelnden Anhängern sprach am Montagabend der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats (NTC), Mustafa Abdel Dschalil, auf dem Martyr's Square im Zentrum von Tripolis. In seiner Ansprache entwarf er ein Szenario für die Zukunft und warnte gleichzeitig vor den Gefahren der Gegenwart.

Libyen soll aus seiner Sicht rechts- und sozialstaatlich organisiert sein. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass erst noch viele Voraussetzungen erfüllt sein müssen, bevor Recht und Wohlstand Einzug halten können. Wichtigste Quelle für die Gesetzgebung soll aber das islamische Recht der Scharia sein, verkündete Dschalil.

Offenbar eine Konzession

Das Bekenntnis überrascht. Bislang war der Chef des Übergangsrates nicht als religiöser Eiferer aufgefallen. Dass er nun den neuen Staat auf einem religiösen Fundament aufbauen will, ist daher wohl auch als Zugeständnis an die islamistischen Kräfte in den Reihen der Rebellen zu verstehen. Die Kämpfer des Übergangsrates setzen sich aus verschiedenst ausgerichteten Gruppen in Libyen zusammen. Stammesinteressen, westlich orientierte Liberale, arabische Nationalisten und auch Islamisten zählen dazu.

Deren Rolle schätzen Kenner des Landes als erheblich ein. Dschalil versucht sie offensichtlich für das neue, von ihm vorgeschlagene Staatssystem zu gewinnen, indem er den Islam auf moderate Art integriert. Der Islam - natürlich gehört er fest zum kulturellen Selbstverständnis der Menschen in Libyen. Ob er aber auch den Staat und seine Institutionen bestimmt, steht auf einem anderen Blatt.

"Ideologien werden nicht toleriert"

Dschalil selbst kündigte ein gemäßigtes Vorgehen an. "Wir sind ein muslimisches Volk, für einen moderaten Islam und wir werden auf diesem Weg bleiben", sagte Dschalil laut Al-Dschasira. Extremistischen Kräften erteilte der Politiker in seiner Ansprache im Zentrum von Tripolis eine deutliche Abfuhr. Extremistische

Ideologien würden nicht toleriert, betonte Dschalil.
Islam-Gegner würden nicht zögern, allein die Scharia als Spielart einer extremistischen Denkart zu bezeichnen. Doch ist der Begriff in westlichen Ländern mit Vorurteilen behaftet . Scharia, zu deutsch "Weg", das ist mehr als das geltende Recht im Iran, nach dem das Prinzip der Vergeltung angewendet werden und dem Täter das Gleiche wie seinem Opfer widerfahren kann.

Alles Auslegungssache

Die Scharia ist mehr als das Zerrbild im Westen. Faktisch gibt es sie auch in Deutschland. Sie umfasst Regeln und Prinzipien für das gesamte Leben der Muslime. Mitenthalten sind also nicht nur religiöse Rituale, sondern auch Normen für Familienrecht, Erbrecht und dergleichen. Ein Großteil ist im praktischen Leben Auslegungssache der Rechtsgelehrten - und in der islamischen Welt oftmals heiß umstritten. Nur ein kleiner Kern von Pflichten findet in der muslimischen Welt allgemeine Zustimmung.

Entsprechend weit gehen die praktischen Erscheinungsformen auseinander. In Afghanistan zeigten die Taliban die extremistische Variante. Öffentliches Steinigen gehörte zu den Strafen. Ehebruch wurde mit Tod bestraft. Dieben wurden die Hände abgehackt.

Auf der anderen Seite stehen die liberalen Islam-Gelehrten aus der westlichen Welt, die das Verhalten der Taliban ebenso als Barbarei verurteilen. Auch ein Großteil der libyschen Opposition gilt als aufgeklärt, muss aber angesichts der so vielen unterschiedlichen Interessen darauf aus sein, möglichst viele der anderen Kräfte miteinzubinden.

Dass eine Rechtslage auf Grundlage der Scharia möglich ist, zweifeln Experten nicht an. "Bürgerliche Freiheiten wie Partizipation und die Freiheit von staatlicher Willkür sind sehr wohl mit der Scharia vereinbar", erklärte der Islam-Kenner Matthias Rohe sueddeutsche.de.

Auch sein Kollege Reinhard Schulze von der Universität Bern geht davon aus, dass Dschalil die Errichtung eines zivilen demokratischen Rechtsstaates anstrebt. Der Verweis auf die Scharia sei dabei lediglich Mittel zum Zweck, sagte Schule dem Schweizer Fernsehsender SF1. Die Scharia als Grundlage einer Rechtsordnung anzukündigen ist aus seiner Sichtweise angesichts der zahlreichen Auslegungsarten alles andere als eine konkrete Ansage.

Mit Material von Reuters

(RTR/pst)
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