Nato und Russland Zurück zur Abschreckung

Brüssel · Der Versuch, zwischen der Nato und Russland eine enge Partnerschaft zu etablieren, ist vorerst gescheitert. Das westliche Bündnis setzt nach der russischen Annexion der Krim wieder auf die Verteidigung der eigenen Grenzen.

Nato und Russland: Zurück zur Abschreckung
Foto: Phil Ninh

Das Familienfoto ist fürs Geschichtsbuch: Montenegros Ministerpräsident Milo Dukanovic wurde gestern bei schönstem Brüsseler Frühlingswetter in die Mitte genommen, als sich die 28 Außenminister der Nato-Staaten für das traditionelle Gruppenbild aufstellten. Bei ihrem Treffen im Nato-Hauptquartier unterzeichneten sie das Beitrittsprotokoll für Montenegro. Damit kann der Staat, der aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen ist, bald das 29. Mitglied des westlichen Militärbündnisses werden. Bis das kleine Westbalkanland volles Nato-Mitglied und stimmberechtigt ist, werden aber noch gut anderthalb Jahre vergehen. Die Parlamente der Mitgliedstaaten müssen dem Beitritt noch zustimmen.

Aufnahme Montenegros hilft kaum

 Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Foto: afp, JT

Die Aufnahme Montenegros wird kaum zu einer substanziellen militärischen Stärkung der Nato führen. Der Kleinstaat hat nur rund 630.000 Einwohner und gerade mal 2000 Soldaten. Die gestrige Zeremonie ist dagegen symbolisch bedeutsam: Die westliche Allianz demonstriert, dass sie sich ihre Politik nicht aus Moskau diktieren lässt. Für Russland ist die Aufnahme Montenegros nämlich ein weiterer Beleg für den angeblich aggressiven Expansionskurs des westlichen Militärbündnisses nach dem Zerfall des Warschauer Pakts. Im Vorfeld der Nato-Einladung an Montenegro hatte der Kreml daher scharf mit Gegenmaßnahmen gedroht.

Richtig ist: Seit dem Ende des Kalten Kriegs hat die Nato zwölf neue Mitglieder aufgenommen, die vor allem eines suchten: Schutz vor einer möglichen Aggression aus Russland. So schreckt das Säbelrasseln aus Moskau mögliche Nato-Kandidaten auch nicht ab - ganz im Gegenteil. Mit Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Georgien klopfen bereits drei weitere Staaten an die Tür der Nato, die Moskau zu seinem Einflussbereich zählt. Ob diese Länder am Ende tatsächlich aufgenommen werden, ist zwar keineswegs ausgemacht. Gerade im Falle Georgiens ist das zu bezweifeln. Aber allein die Perspektive einer weiteren Ausdehnung der Nato löst in Moskau allergische Reaktionen aus.

Klima schwer belastet

Dabei hatte es durchaus die Aussicht auf eine friedliche Koexistenz, ja sogar eine Partnerschaft zwischen Russland um dem westlichen Bündnis gegeben. 1997 wurde die Nato-Grundsatzakte unterzeichnet. Mit diesem Dokument sagte die Nato Russland zu, möglichst auf eine dauerhafte und umfangreiche Stationierung von Truppen in Osteuropa zu verzichten. 2002 wurde dann ein Gremium für den permanenten Dialog geschaffen, der Nato-Russland-Rat. Dieses Forum wurde allerdings zwischenzeitlich schon mehrfach ausgesetzt. Anlass dafür waren jeweils schwere Belastungen des diplomatischen Klimas nach russischen Militärinterventionen, zunächst in Georgien (2008) und zuletzt in der Ukraine.

Inzwischen ist der Dialog zwar wieder aufgenommen worden; vor wenigen Wochen fand nach Monaten der Funkstille erstmals wieder ein Nato-Russland-Rat statt. Allerdings wurde dort vor allem gestritten. Trotzdem setzt sich insbesondere Deutschland hinter den Kulissen dafür ein, dass das Gremium erneut zusammentritt, bevor Anfang Juli der nächste Nato-Gipfel in Warschau stattfindet. Andere, vor allem osteuropäische Länder, sind freilich dagegen. Sie vertreten die Ansicht, dass Russland zu einer Partnerschaft derzeit überhaupt nicht bereit sei.

Nato-Russland-Grundsatzakte

Das ist wohl der bedeutendste Wandel im Verhältnis der Nato zu Russland: Nach Jahren, in denen das westliche Bündnis sich vorwiegend auf Missionen außerhalb des Bündnisgebietes konzentriert hatte, geht es jetzt wieder um Landesverteidigung an der Nato-Ostgrenze. Statt um Vertrauen geht es um Glaubwürdigkeit, statt um Partnerschaft um Abschreckung. Man mag das beklagen, aber der Impuls zu diesem Strategiewechsel - man könnte auch sagen zu dieser Rolle rückwärts - ging nicht von Brüssel, sondern von Moskau aus. 2014 marschierten russische Truppen in ein souveränes Nachbarland ein und annektierten völkerrechtswidrig fremdes Staatsgebiet. Was im Übrigen einen flagranten Verstoß gegen die Nato-Russland-Grundsatzakte von 1997 darstellt. Deren Bestimmungen wollen die Nato-Mitglieder indes weiter einhalten, darüber herrscht Konsens.

Mit der jeweils nur kurzfristigen Entsendung von einigen Hundert Soldaten in die baltischen Staaten und nach Polen will man sich an die Vereinbarung halten, nicht dauerhaft größere Nato-Kampfverbände in Osteuropa zu stationieren. Allerdings wurde auch eine Eingreiftruppe beschlossen, die notfalls schnell an die Nato-Ostgrenze verlegt werden kann; es wird dort auch zusätzliches militärisches Material eingelagert. Es ist kein Geheimnis, dass Moskau seinerseits das militärische Engagement an der Nato-Grenze deutlich verstärkt. So gibt es Berichte, wonach Kurzstreckenraketen des Typs SS 26 nach Kaliningrad verlegt wurden. Diese Waffen haben eine Reichweite bis in die östlichen Bundesländer Deutschlands.

Das westliche Bündnis will mit einer Doppelstrategie reagieren. Bei ihrem Gipfel in Warschau wird die Allianz Moskau erneut anbieten, an einer Deeskalation zu arbeiten. Der Dialog soll wieder in Gang kommen, wenn auch unter schwierigeren Vorzeichen. Zugleich wird sich die Nato noch einmal klar zur Abschreckung bekennen. Es soll unzweifelhaft das gelten, was sich aus dem Artikel 5 des Nordatlantikvertrages ergibt - der Beistand aller Verbündeten im Falle eines russischen Angriffs. Selbst wenn die meisten Deutschen - das zeigen Umfragen - im Ernstfall lieber keine Verantwortung für die kleinen baltischen Staaten oder Polen übernehmen wollen, so muss doch klar sein, was auf dem Spiel steht: In dem Augenblick, in dem die Nato einem angegriffenen Mitglied die Hilfe verweigert, ist das mächtigste Militärbündnis der Welt Geschichte.

(RP)
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