Amernier-Morde und das Kaiserreich "Hart, aber nützlich" - die deutsche Mitschuld

Düsseldorf · Das Kaiserreich wusste von den Armenier-Morden. Moralische Bedenken aber waren der Führung in Berlin fremd.

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Foto: qvist /Shutterstock.com/Retusche RPO

Die Leichen der Armenier trieben schon den Tigris herab, telegrafierte der deutsche Konsul im damals türkischen Mossul im Nordirak, Walter Holstein, im Juni 1915 an die Botschaft in Konstantinopel. Er fügte hinzu: "Unterwegs befindlichen Transporten steht das gleiche Los bevor." Da waren die Deportationen der Armenier schon seit fast zwei Monaten im Gang. Fünf Tage später vermerkte Marineattaché Hans Humann auf Holsteins Telegramm: "Die Armenier werden mehr oder weniger ausgerottet. Das ist hart, aber nützlich."

Wer heute hierzulande vom Armeniermord spricht, kann von der deutschen Mitschuld nicht schweigen. Denn das Kaiserreich schritt nicht ein gegen die Verbrechen der verbündeten Osmanen. Im Gegenteil: Mancher billigte das Morden; viele nahmen es bewusst in Kauf.

"Hart, aber nützlich": Das ist an Zynismus kaum zu überbieten. Aber die Türken waren ein wichtiger Verbündeter gegen Russland - der Krieg tobte auch in Anatolien. Im April 1915 waren zudem Briten und Franzosen vor Konstantinopel gelandet; die osmanische Hauptstadt war bedroht. Die Armenier galten den Radikalen in Berlin wie der türkischen Regierung als heimliche Verbündete der Russen, als Verräter.

Von "extremer moralischer Gleichgültigkeit" der Reichsregierung spricht der Historiker Rolf Hosfeld in seinem aktuellen Buch "Tod in der Wüste" (C.H. Beck, 288 Seiten, 24,95 Euro). Kritiker fanden kein Gehör. So forderte Botschafter Paul Graf Wolff-Metternich, die deutsche Presse solle die Morde ansprechen. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg war entsetzt: "Unser einziges Ziel ist, die Türkei an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht." Deutsche wurden teils selbst aktiv: Major Eberhard Graf Wolffskeel kommandierte die Artillerie, die 1915 das Armenierviertel von Urfa in Trümmer schoss. "Überall Tote in Mengen", schrieb er danach seiner Frau, und: "Diese Halbwilden machen noch im Tod einen viel unangenehmeren Eindruck als die Gefallenen auf einem Schlachtfelde."

Ruhm erwarb sich der Theologe Johannes Lepsius, der 1916 den voluminösen "Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei" veröffentlichte - eine Anklage gegen den Völkermord. Die Zensur verbot die Publikation prompt.

Die deutsche Gleichgültigkeit veranlasste später einen Massenmörder noch größeren Kalibers zu großspurigem Spott. "Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?", fragte Adolf Hitler seine Generale 1939, am Vorabend des Krieges. Sechs Jahre später waren sechs Millionen Juden ermordet. Auf das Vergessen wenigstens spekulierte Hitler vergeblich.

(RP)
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