Inside USA "Liebe Jury, erledigt sie!"

Das amerikanische Rechtssystem ist gewöhnungsbedürftig. Nicht nur, weil es die Todesstrafe gibt. Auch, weil US-Anwälte in Gerichtssälen manchmal mehr mit schauspielerischen Fähigkeiten punkten als mit Beweisen.

Eine dreiviertel Stunde hat der Staatsanwalt nun schon argumentiert, geschrien, gewettert. Nun soll eine klare Ansage an die Jury den Sieg bringen. "Erledigt sie", ruft Jude Conroy den verdutzten Geschworenen zu und zeigt mit dem Finger auf die Anklagebank. Und noch einmal: "Erledigt sie!" (im englischen "Bang ´em"). Dann setzt er sich zufrieden auf seinen Platz.

Schwarzer Mann tötet weißen Polizisten

Es ist "Showtime" im Saal 405 des Schwurgerichts in Philadelphia, USA. Ein Mordprozess der besonderen Art. Drei Afro-Amerikaner haben einen weißen Polizisten getötet. In einer Stadt, die immer noch mit dem Fall des wegen Polizistenmords zum Tode verurteilten US-Journalisten und Bürgerrechtlers Mumia Abu-Jamal zu kämpfen hat, der 2008 weltweit Kritik und Schlagzeilen brachte und wömöglich neu aufgerollt werden muss, ist das eine brisante Konstellation. Und eine Profilierungschance für ehrgeizige Juristen wie Conroy.

Todesstrafe ohne Todesschuss

Der schneidige Ankläger, ein Weißer, verlangt die Todesstrafe. Dass nicht die beiden Angeklagten, sondern nachweislich ein Komplize, der später von Polizisten im Gefecht erschossen wurde, den Abzug drückte, ist zweitrangig. In Pennsylvania darf auch die "Verschwörung zum Mord" mit der Giftspritze geahndet werden. Hinzu kommt: In der gesellschaftlichen Ächtung belegt der Polizisten-Mord eine eigene Kategorie, oberhalb des "gewöhnlichen" Mords, der zumindest in Großstädten wie Philadelphia fast täglich vorkommt.

Der Staatsanwalt lässt also die Emotionen spielen. Eine mannshohe Puppe, die den getöteten Polizisten darstellen soll, wird vor der zwölfköpfigen Jury aufgebaut. Rot gefärbte Löcher in der Uniform symbolisieren Einschussstellen. Immer wieder umgarnt Conroy den Papp-Polizisten in seiner Rede, legt ihm die Hand auf die Schulter, redet mit ihm. Nähe schaffen zum Opfer lautet der Auftrag.

Geschworene sind beeindruckt

Auch rhetorisch steigt der Chef-Ankläger der Stadt oben ein. "Polizisten sind die Mütter der Gesellschaft", ruft Conroy. "Wer hilft uns denn, wenn es brenzlig wird". Kaltblütig hätten die Angeklagten, "Menschen, deren Gen die Gewalt ist", den Tod des Familienvaters in Kauf genommen, sagt er.

Die Geschworenen, jene Hobby-Richter, die in einigen US-Bundesstaaten alleine über Tod und Leben entscheiden können, sind sichtlich beeindruckt. Erst recht als sich Conroy hinter einem Holzvorsprung versteckt, um zu demonstrieren, wie "feige" einer der Angeklagten im Verhör versucht hatte, die Tat auf den Komplizen abzuschieben. Zur Krönung erfolgt der bereits erwähnte Aufruf zum Töten: "Bang `em." Mit diesen Worten hatte auch einer der Angeklagten seinen Kumpel zum Schuss auf den Polizisten animiert.

Dem Verteidiger bleibt nach dem Spektakel des Staatsanwalts nur die Fakten-Analyse. "Wir exekutieren niemanden, der nicht getötet hat", sagt Earl Kauffmann schlicht. Im Übrigen sei ein Leben in einer Fünf-Quadratmeter Zelle schlimmer als der Tod. Die Jury ist offensichtlich mit dem Geschehen überfordert. Nach dreitägigen Beratungen geben die Geschworenen ratlos ein Unentschieden zu Protokoll. Kein einheitliches Urteil. Dann, so sieht es das Pennsylvania-Recht vor, bleibt es bei der "Mindestlösung" - Lebenslang ohne Bewährung.

So hat Conroy doch noch verloren. Und der Aufstand der schwarzen Bürger Philadelphias bleibt vorerst aus.

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