Analyse Lasst die Rechten doch mal machen

Meinung | Wien · Der Nationalist Norbert Hofer ist bei der österreichischen Präsidentschaftswahl unterlegen. Schade - das wäre eine Gelegenheit für den Beweis gewesen, dass Rechtspopulisten im Amt scheitern müssen, weil sie sich der Realität verweigern.

 Der Österreicher Norbert Hofer hatte sich etwas zu früh gefreut.

Der Österreicher Norbert Hofer hatte sich etwas zu früh gefreut.

Foto: dpa, cb bjw

Die Österreicher haben eine Chance verpasst, als sie den nationalistischen Demagogen Norbert Hofer von der FPÖ nicht zum Bundespräsidenten gewählt haben. Es war knapp - Hofer bekam 49,7 Prozent, sein Gegenkandidat Alexander Van der Bellen 50,3. Das Ergebnis ist in Europa gemeinhin wenn schon nicht mit Jubel, so doch mit Erleichterung quittiert worden, nach dem Motto: noch mal davongekommen. Dabei wäre die Wahl die vorerst letzte Gelegenheit gewesen, in einem westeuropäisch geprägten Land zu beweisen, dass Nationalisten schlechte Politiker sind, weil sie mit einem Weltbild antreten, das der Realität vor 50 Jahren entspricht - außenpolitisch, ökonomisch, gesellschaftlich.

Gerade wer glaubt, Europas Rechtspopulisten seien aus der Zeit gefallen, und gleichzeitig erwartet, dass die Verhältnisse in der Welt so instabil bleiben, mit Islamistenterror und Massenmigration nach Europa, der hätte eigentlich Interesse an Hofers Sieg haben müssen. Denn früher oder später wird einer der Rechten eine Wahl gewinnen und sich als Regierungschef oder Staatsoberhaupt beweisen müssen.

Kompetenz für tatsächliche Politik

Österreich ist, bei allem Respekt, kein Schwergewicht wie Frankreich, wo ein Sieg Marine Le Pens bei der Präsidentschaftswahl 2017 tatsächlich eine Katastrophe wäre und vermutlich sowohl den Euro als auch die EU in ihrer Existenz bedrohen würde. Außerdem ging es in Österreich "nur" um den Bundespräsidenten; dennoch hat der nach der Verfassung genügend Kompetenzen, um tatsächlich Politik zu machen und nicht nur ein Reden haltender Staatsnotar zu sein wie in Deutschland.

Zudem ist Österreich ein krasses Beispiel dafür, was passiert, wenn sich Parteien den Staat zur Beute machen, wie es für Deutschland Richard von Weizsäcker formulierte. In Österreich, dem Land der immerwährenden großen Koalition, sind sogar Sportverbände und Autoclubs einer der beiden großen Parteien zugeordnet, von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften ganz zu schweigen - eine aberwitzige Verflechtung, die eher an mittelalterliches Lehnswesen erinnert als an eine moderne Demokratie. Österreich war für den Sieg eines Populisten wie gemacht.

Ist das zynisch? Nein, das ist Politik. Politisches Kalkül, zugegeben, aber zur Demokratie gehört regelmäßiger Wechsel - nicht nur zwischen immer denselben Koalitionspartnern. "Jede regierende Partei muss ein wenig in der Furcht des Herrn leben - nämlich des Wählers - und jede nicht regierende Partei in der Erwartung, jederzeit wieder regieren zu dürfen oder zu müssen", schrieb schon 1980 der begnadete Polemiker Sebastian Haffner in seinen "Überlegungen eines Wechselwählers": "Nur das hält beide in den Grenzen staatspolitischer Verantwortung."

Hofer wäre das kleinere Übel gewesen. Ohne ihn als Präsidenten kann die Dämonisierung seiner Wähler munter weitergehen - SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte schon vor der Stichwahl über die Grenze gerufen, jetzt sollten sich "alle demokratischen Kräfte hinter den demokratischen Kandidaten" stellen, als plane Hofer den Marsch in den Faschismus. Ohne einen Präsidenten Hofer kann sich seine Partei wieder fröhlich in ihrer Opferrolle suhlen. Ohne einen Präsidenten Hofer ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass nach der Parlamentswahl 2018 FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Bundeskanzler wird. Und der ist, was Fremdenfeindlichkeit angeht, ein ganz anderes Kaliber.

Was wäre wohl passiert?

Was wäre denn mit einem Präsidenten Hofer passiert? Zunächst wäre ein anderes Politikverständnis in die Hofburg eingezogen, ein miefiger Paternalismus, den Hofer selbst - wohl unfreiwillig - offenbarte, als er auf Facebook seine Niederlage einräumte: "Ich hätte gerne für euch auf unser wunderbares Land aufgepasst." Im 21. Jahrhundert muss nicht ein Präsident auf ein Land aufpassen, eher umgekehrt. Hofer hätte vielleicht die Regierung entlassen und dabei vermutlich Probleme mit dem Verfassungsgericht bekommen, was eine schöne Gelegenheit gewesen wäre, die Gewaltenteilung zu exerzieren.

Ansonsten hätte er einfach arbeiten müssen, wie auch die AfD-Abgeordneten, die in deutschen Länderparlamenten sitzen. Wo schon eine Zwischenbilanz möglich ist, etwa in Brandenburg, fällt sie verheerend aus. Das stärkste Argument gegen Rechtspopulisten ist ihre Inkompetenz im Umgang mit der Wirklichkeit. Nicht mit ihnen zu reden, wie es die NRW-Ministerpräsidentin tut und die Organisatoren des Katholikentags, ist keine demokratische Großtat, sondern entlässt die Vereinfacher aus der Verantwortung.

Der Segen unserer etablierten politischen Systeme ist ihre Dickfelligkeit: "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft", wie es in einer bekannten Talkshow heißt, verändert das zwar die Politik oft langsamer als nötig - zugleich aber können auch die hartgesottensten Populisten, wenn sie denn gewählt werden, den Mühen des Alltags nicht ausweichen, ob das nun die kommunale Gebührenordnung ist oder die Euro-Rettung. Das hat auf der Linken Giannis Varoufakis ebenso erfahren müssen, wie es auf der Rechten Hofer erfahren hätte.

Hinter alldem steht kein überbordender Rationalismus. Politik funktioniert nicht immer rational. Hofer ist auf einer Wutwoge zu seinen 49,7 Prozent gesurft. Eine solche Proteststimmung gibt zwar mächtig Auftrieb, trägt aber auch nur begrenzte Zeit. Die Stunde der Wahrheit für den Populisten und seine untaugliche Ideologie kommt danach: Entweder scheitert er als Person und tritt zurück, oder er scheitert mit seinem Populismus und richtet seine Politik an der Realität aus. Beides ist gut für die Demokratie.

Realitätsverweigerung kann auf Dauer nicht erfolgreich sein. Am Ende setzt sich auch in der Politik die Substanz durch, und das heißt: derjenige, der mit der Wirklichkeit umgehen will, statt sie zu ignorieren und das Rad zurückzudrehen. So viel Optimismus, so viel Gelassenheit sollten wir uns schon leisten.

(fvo)
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