London Konservativen droht Wahlpleite

London (RP). Die britischen Tories, deren Sieg lange Zeit sicher schien, verlieren im Schlussspurt dramatisch an Boden: Parteichef Cameron kämpft mit einem Glaubwürdigkeitsproblem, ein neuer Skandal erschüttert die Partei. Der farblose Labour-Chef Brown erscheint vielen Wählern nun als das kleinere Übel.

Sein großes Vorbild ist die "Eiserne Lady" Margaret Thatcher. Doch der heutige Tory-Chef David Cameron steht bei seinen Landsleuten im Ruf, unecht, weich und aalglatt zu sein — ein Image, das der 43-jährige Bewohner des Londoner Edelviertels Notting Hill gern los wäre. Das will dem politischen Erzrivalen des Premiers Gordon Brown jedoch einfach nicht gelingen.

Seitdem Cameron im Januar auf einer Plakatserie seiner Partei mit wegretuschierten Falten, verschlankter Nase und vollerem Haar erschien, muss er viel Spott der Briten ertragen, die im misslungenen Werbefeldzug der "elitären" Tories einen Beweis für deren mangelnde Glaubwürdigkeit sehen.

Es ist nicht das einzige Problem Camerons, dem zwei Monate vor der Wahl die Felle wegschwimmen. Um Labour an der Macht abzulösen, muss die konservative Opposition nach 13 Jahren im politischen Abseits wirtschaftliche Kompetenz zeigen, die in turbulenten Zeiten nötig ist. Und sie muss das Vertrauen der weniger gut verdienenden Bürger gewinnen, die Angst vor dem sozialem Abbau und schmerzhaften Kürzungen bei den Staatsausgaben unter dem Tory-Kommando haben. Camerons Partei kann dabei einige Erfolge vorweisen. Doch das Eis zwischen den Konservativen und einem Teil der Mittelschicht, der bei dem Gedanken an Thatchers Schatten fröstelt, ist noch nicht geschmolzen.

Dabei lief alles so gut für Cameron: Während Brown seit Herbst 2007 immer wieder durch politische Pannen und miserable Öffentlichkeitsarbeit das Ansehen von Labour beschädigte, schaute der Tory-Chef freudig zu, wie die Opposition in Westminster Anhänger gewann. Solange Cameron sich etwa bei Steuerfragen nicht festlegte, machte er auch nichts falsch. Diesen Luxus konnte er sich jedoch in der Finanzkrise nicht mehr leisten. Um glaubwürdig zu sein, musste Cameron den Briten unangenehme Wahrheiten auftischen. Am Ende wirkte er zu negativ, zu düster und pessimistisch. Und solange die Tories die Details ihrer Pläne zum Abbau der gigantischen Staatsschulden verschleiern, erwecken sie bei vielen Briten den Verdacht, dass nur die Reichen unter Cameron profitieren würden. Der optimistische Finanzprofi Brown hat dagegen an Popularität zugelegt, was seiner Partei erstmals seit Jahren Chancen eröffnet.

Die Briten haben sich anscheinend sogar an das fehlende Charisma des leidenschaftslosen Labour-Vorsitzenden gewöhnt. Trotz seines aufgesetzten Lächelns für die Kameras wirkt Brown echt und ehrlich. Bei Cameron sind sich viele Wähler weiterhin nicht so sicher. Einen "Scharlatan" nannte ihn jetzt sogar die konservative "Sunday Times".

Aus Angst vor dem Umfragetief machte Cameron einen taktischen Fehler, als er den Machtwechsel zu seiner "patriotischen Pflicht" erkläre. Zwei Tage später erfuhren die Briten, dass der milliardenschwere Sponsor und Top-Stratege der Konservativen, Lord Michael Ashcroft, höchst unpatriotisch seine Steuern im karibischen Belize statt in London zahlt. Der Steuerflüchtling hatte beim Einzug in das House of Lords 2000 versprochen, seinen Lebensmittelpunkt nach England zu verlagern. Wie diese Woche bekannt wurde, hatte der 63-jährige Unternehmer jedoch später heimlich mit der Regierung einen Sonderstatus ausgehandelt, der ihn viele Millionen Pfund sparen lässt.

Die Labour-Partei, die selbst Spenden von Steuerflüchtlingen bereitwillig annimmt, bohrt genüsslich in Camerons neuer Wunde und kritisiert sein "Schattenkabinett" als "absolut unglaubwürdig".

(RP)
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