Terror in Europas Hauptstadt Krieg den Gotteskriegern

Meinung | Brüssel · Der Terror trifft die Hauptstadt Europas. Die Trauer und die Wut sind groß. Man dürfe dem Terror nicht weichen, man müsse das Leben in Freiheit und Demokratie weiterleben, heißt es nun wieder. Alles richtig. Wir sollten aber endlich den Kampf aufnehmen.

 "Keine Vergebung!" Diese Notiz wurde vor der belgischen Botschaft in Berlin abgelegt.

"Keine Vergebung!" Diese Notiz wurde vor der belgischen Botschaft in Berlin abgelegt.

Foto: afp, OA

Wieder blutüberströmte Menschen auf den Straßen, wieder Dutzende Tote, wieder Terror in Europa. Die Paris-Attentate vom 13. November 2015 sind noch in frischer Erinnerung, da brennt sich der 22. März 2016 als neues Kollektivdatum des Terrors in unsere Köpfe. Der Krieg geht weiter. Dieses Mal treffen die mutmaßlich islamistischen Terroristen - zufällig oder geplant - das politische Zentrum Europas. Die Hauptstadt der Europäischen Union: Brüssel. Eine Bombe detoniert nur 300 Meter entfernt von der EU-Kommission.

Was nun? Zunächst und richtigerweise: Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer. Solidaritätsbekundungen. Belgiens König zeigt sich "schockiert". Der deutsche Bundespräsident spricht von "schrecklichen Verbrechen". Die Welt trauert. Staatschefs aus aller Welt drücken ihre Anteilnahme aus. Die Bundeskanzlerin mahnt die konsequente Verteidigung unserer Werte an. Facebook-Profile in den Farben Belgiens, der Eiffelturm illuminiert in schwarz-gelb-rot, Karikaturen zeigen die berühmte belgische Brunnenfigur "Manneken Pis" auf eine Kalaschnikow urinierend. Trauer und Wut finden ihren Ausdruck. Die Islam-Verbände sagen, was sie nach einem Anschlag mit islamistischer Motivation immer sagen. Hier wird ihre Religion missbraucht. Alles richtig. Aber irgendwie auch alles seltsam routiniert. Ratlos. Ohnmächtig.

Die Gefahr besteht, dass die Trauerrhetorik und die Solidaritätsadressen zum Ritual des Terrors werden und wir die Analyse darüber vergessen, wie freiheitlich organisierte Staaten sich wirksam gegen Menschen zur Wehr setzen, die den Tod nicht scheuen. Es kann darauf nur eine logische Antwort geben. Sie klingt sehr banal. Die Terroristen müssen daran gehindert werden, zu töten. Wie kann es sein, dass der als Logistiker der Paris-Attentäter bekanntgewordene Terrorist Saleh Abdeslam über Monate frei durch Europa spaziert, bevor er verhaftet wird? Wieso wissen europäische und US-Sicherheitsbehörden so wenig über die Informations-und Kommunikationsstruktur der Terrorzellen? Dass eine Vergeltung für die Verhaftung Abdeslams bevorstehen würde, ahnten die Ermittler. Aber niemand in der hochgerüsteten, westlichen IT-Sicherheitsbürokratie hatte Zugang zu Gesprächen und Vorbereitungen, kannte Namen oder Adressen von potenziellen Attentätern? Nichts? Wirklich gar nichts?

Dann sollten wir nacharbeiten. Nicht nur die Angehörigen der Opfer, alle Bürger haben ein Anrecht darauf, dass die Sicherheitsbehörden ihre Fahndungssysteme und Datenbanken mindestens so gut vernetzen wie es offenbar die Terroristen tun. Wenn die Angriffe wirklich der "westlichen Welt" galten, wie es jeder Politiker nun wieder betont, dann sollte "der Westen" auch koordiniert und grenzüberschreitend reagieren und über hierarchische Eitelkeiten und nationale Interessen hinweg eine Struktur aufbauen, die effizient und erfolgreich arbeitet. Die islamistische Zelle im Brüsseler Stadtteil Molenbeek konnte über Jahre ungehindert wachsen und gedeihen.

Natürlich, freie Gesellschaften sind verwundbar. Wir werden mit Terrorangst leben und zugleich den Weg der Offenheit, der Demokratie, der rechtstaatlichen Zuversicht weitergehen müssen. Aber haben wir wirklich schon alle Potenziale ausgeschöpft, um dem organisierten islamistischen Terrorismus das Handwerk zu legen? Wo ist die globale Initiative der Weltfinanzmärkte, um die Konten des IS trockenzulegen? Wo ist der internationale Kampf gegen den Waffenhandel? Und brauchen wir nicht doch verschärfte Sicherheitskonzepte an den neuralgischen Orten wie Flughäfen, Bahnhöfen?

Es stimmt, dass die Terroristen am Dienstag wieder einmal Europa in Chaos gestürzt, und zeitweise unsere Freiheit eingeschränkt haben. Flüge wurden abgesagt, Zugverbindungen gekappt, Grenzen geschlossen. Aber, und das wäre die richtige und für die Terroristen schmerzhafte Antwort: Diese Anschläge im Herzen Europas lassen Europa zusammenrücken. Der Kampf gegen den mörderischen Staat IS, der sich laut mehreren Nachrichtenagenturen zu den Anschlägen bekannt hat, wird gemeinsam geführt. Europa nimmt die Kriegserklärung der fanatischen Gotteskrieger an. Und antwortet mit ihren eigenen Waffen.

(brö)
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