Durchbruch bei Atomgesprächen in Genf Israel nennt Atomabkommen mit Iran "historischen Fehler"

Unterhändler feiern die Einigung im Atomstreit mit dem Iran als Sieg für alle Beteiligten. Mit einer Übergangslösung soll der Konflikt um das Atomprogramm beigelegt werden. Ein erster Schritt zum Frieden, sagen Befürworter. Doch Israels Regierung reagiert entsetzt. Sie traut dem Iran nicht über den Weg. Regierungschef Netanjahu befürchtet ein Schurkenstück.

Wie die Welt die Einigung im Atomstreit kommentiert
Infos

Wie die Welt die Einigung im Atomstreit kommentiert

Infos
Foto: dpa, Martial Trezzini

So verurteilte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Einigung bei den Genfer Atomgesprächen ohne Einschränkungen als "historischen Fehler". "Heute ist die Welt zu einem sehr viel gefährlicheren Ort geworden, weil das gefährlichste Regime der Welt dem Besitz der gefährlichsten Waffe der Welt entscheidend nähergekommen ist", sagte der Regierungschef am Sonntag in Jerusalem.

"Was in Genf vereinbart wurde, ist kein historisches Abkommen, sondern ein historischer Fehler."

Der Präsident klingt versöhnlicher

Präsident Schimon Peres äußerte sich deutlich versöhnlicher. "Ich möchte dem iranischen Volk sagen: Ihr seid nicht unsere Feinde und wir nicht eure", sagte der Friedensnobelpreisträger. Es sei möglich, den Atomstreit mit diplomatischen Mitteln zu lösen.

Vereinbart wurde in Genf ein Übergangsprogramm für ein halbes Jahr. Der Iran legt demnach Teile seines Atomprogramms sechs Monate lang auf Eis und kann dafür mit der Lockerung von Sanktionen rechnen. Israel ist jedoch überzeugt, dass Teheran trotzdem heimlich weiter danach streben wird, Atomwaffen zu erlangen.

Ein Militärschlag steht immer noch im Raum

Netanjahu bemängelte, die mühsam aufgebauten Sanktionen gegen den Iran würden im Gegenzug für "kosmetische iranische Konzessionen" gelockert. "Israel ist dieser Vereinbarung nicht verpflichtet." Das iranische Regime strebe nach der Vernichtung Israels, und Israel habe das Recht und die Pflicht, sich angesichts jeder Bedrohung selbst zu verteidigen. Israelische Politiker hatten zuletzt wiederholt damit gedroht, notfalls militärisch gegen die iranischen Atomanlagen vorzugehen.

Außenminister Avigdor Lieberman beschrieb die Vereinbarung als "den größten diplomatischen Sieg des Irans in den letzten Jahren". Sie werde das Wettrüsten in der Region anheizen. "Die im letzten Moment aufgenommenen Veränderungen sind unbefriedigend, das Abkommen war und bleibt schlecht", sagte auch Israels Geheimdienstminister Juval Steinitz.

Bedenken auch in Deutschland

Das Wiesenthal-Zentrum, das sich überwiegend mit der Fahndung nach NS-Verbrechern befasst, äußerte ebenfalls Bedenken. "Glaubt wirklich jemand, dass der Ajatollah (Ali Chamenei) in den kommenden sechs Monaten seine Ansichten ändern wird?", hieß es in einer Mitteilung des Zentrums. "In sechs Monaten werden ihre ballistischen Raketenprojekte noch tödlicher sein."

Auch in Deutschland wurde vorsichtige Kritik laut. Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel warnte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, vor Euphorie und äußerte Bedenken: "Zum einen sind sich die Verhandlungspartner offenbar schon jetzt über einzelne Formulierungen und den Inhalt der Vereinbarung nicht einig. Zum anderen hat die Vergangenheit gezeigt, dass Teheran schon oft vieles zugesagt hat, was dann aber nicht eingehalten wurde", so Robbe.

"Ein Sieg für alle"

Für Teheran ist das Abkommen vor allem eine Chance, seinen Präsident Ruhani ausgerufenen Kurswechsel mit Leben zu füllen. Dass der Iran dafür nicht auf eine Urananreicherung bis fünf Prozent verzichten muss, wird von Teheran als außenpolitischer Triumph gefeiert. Tenor: Der Iran hat sein Ziel erreicht. Man wollte ein ziviles Atomprogramm haben, einschließlich Urananreicherung. Dies hat man bekommen - sogar mit dem Segen der USA und des Westens.

Irans Wirtschaft geht am Stock

Heftig umstritten war in den Verhandlungen die iranische "Habenseite" einer Einigung. Die Wirtschaftssanktionen haben das Land schmerzlich getroffen. Die Menschen dort erwarten Erleichterungen.

Der Iran braucht unbedingt eine Normalisierung des Ölexports, der Haupteinkommensquelle des Landes. Wegen der Banksanktionen können kaum Geschäfte gemacht werden. Unklar ist, wann ausländische Investoren zurückkehren.

"Die Menschen, auch Ruhanis Anhänger, wollen ein Ende der Inflation und keine politischen Triumphe", sagte ein Ökonom. Außenminister Mohammed Dschawad Sarif versuchte schon in Genf die Gemüter in seinem Land mit Zweckoptimismus zu beruhigen. "Die Sanktionen werden zunächst verringert, allmählich aber bestimmt aufgehoben", sagte er.

Risiken und Chancen

Das Kalkül der westlichen Unterhändler: Teheran muss an weiteren Fortschritten interessiert sein. Die Weltmächte wollen sicherstellen, dass sie in Genf nicht zum Narren gehalten worden sind. Allerdings gelten auch die Chancen des nun beschrittenen Weges als groß.

Staatspräsident Ruhani twitterte während der noch laufenden Verhandlungen: "Ein Abkommen könnte Grundlage für eine langfristige Zusammenarbeit (mit dem Westen) werden und daher sowohl regionalen als auch internationalen Interessen dienen." Nicht nur die iranische Führung hofft, dass sich die Beziehungen mit einer schrittweisen Einigung im Atomstreit insgesamt verbessern können. Ein erster Prüfstein dafür könnten internationale Bemühungen um eine Lösung für den blutigen Bürgerkrieg in Syrien sein, wo Teheran im Assad-Regime einen Verbündeten hat.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort