Indonesien Eine islamische Demokratie

Jakarta · Der Islam in dem Inselstaat gilt als liberal und tolerant. Für viele Bürger ist Religion Privatsache - in der Politik hat sie nichts verloren.

In der Istiqlal-Moschee in Jakarta finden 120.000 Gläubige Platz.

In der Istiqlal-Moschee in Jakarta finden 120.000 Gläubige Platz.

Foto: dpa

Sein Land sei ein "lebendiges Versuchslabor", in dem Islam, Demokratie und religiöse Toleranz Seite an Seite existierten, sagte Indonesiens Präsident Joko Widodo voller Stolz, als er im April Brüssel besuchte. Auch westliche Politiker loben den südostasiatischen Inselstaat als muslimische Vorzeigedemokratie. US-Präsident Barack Obama nannte Indonesien bei einem Besuch 2014 gar ein Vorbild für andere muslimische Länder.

Lange galt die Türkei als muslimische Musterdemokratie. Doch seit sie sich unter Präsident Recep Tayyip Erdogan in ein autoritäres Regime verwandelt, rückt Indonesien in den Blick. Taugt das Land als Modell, wie eine Fusion von islamischen Traditionen und demokratischen Werten gelingen kann? Kann auch Europa Lehren daraus ziehen?

Arabischer Frühling

Nicht einmal 20 Jahre alt ist Indonesiens Demokratie. Auch der Inselstaat erlebt eine wachsende Islamisierung. Dennoch erweisen sich seine demokratischen Institutionen als erstaunlich robust. Anders als in vielen Ländern des Arabischen Frühlings konnten islamische Parteien bisher nicht die Macht erringen, und der muslimische Mainstream steht hinter der Demokratie.

Wer die Gründe verstehen will, muss ein wenig in der Geschichte zurückgehen. Indonesien ist das größte muslimische Land der Welt, aber der Islam ist keine Staatsreligion. 88 Prozent der 240 Millionen Einwohner sind Muslime. Die meisten sind Sunniten, eine Richtung, der in fundamentalistischer Auslegung etwa auch der Islamische Staat folgt. Doch Indonesien hat über die Jahrhunderte einen eigenen Islam entwickelt. Ideen aus indigenen Religionen, die wiederum vom Hinduismus und Buddhismus beeinflusst waren, flossen ein und formten eine neue Spielart des Islam.

Bis heute gilt der indonesische Islam als vergleichsweise liberal und tolerant. Das Land ist zudem sehr heterogen - 360 verschiedene Völker leben auf den 17.500 Inseln, die Indonesien ausmachen. Etwa neun Prozent der Indonesier sind Christen, weitere 1,8 Prozent Hindus und ein Prozent Buddhisten. Laut der Staatsphilosophie Pancasila müssen sich alle Bürger zu einer von fünf Weltreligionen bekennen, die als gleichberechtigt gelten. Indigene Religionen werden allerdings diskriminiert. Viele Menschen praktizieren sie aber weiter.

Suhartos Rücktritt

Die Trennung von Staat und Religion hat eine lange Geschichte. Erst verbannten die niederländischen Kolonialherren den Islam aus der Politik, später förderte Diktator Suharto zwar eine Islamisierung, unterdrückte aber den "politischen Islam". Als Suharto 1998 nach 32 Jahren schließlich zurücktrat, sehnten sich die Menschen nach Freiheit. Hunderte Parteien und Organisationen schossen aus dem Boden, auch islamische.

Viele Experten sagten dem Land den Zerfall voraus. Doch trotz religiöser Unruhen und blutiger Proteste gelang Indonesien das erstaunliche Kunststück, binnen nur 517 Tagen den Wandel zur Demokratie zu vollziehen. Die Regie führte Übergangspräsident Bacharuddin Jusuf Habibie, der von 1954 bis 1974 in Deutschland studiert und gearbeitet hatte. Er ebnete den Weg zu den ersten freien Wahlen 1999. Unter den 48 zugelassenen Parteien waren auch elf islamische Parteien, die mit dem Ziel antraten, die Scharia einzuführen. Doch die Wähler erteilten ihnen eine Absage. Mit großem Abstand gewannen säkulare Parteien.

Für Pluralismus

Dies war nicht zuletzt liberalen muslimischen Intellektuellen und Führern zu verdanken, die leidenschaftlich für die Demokratie warben. Zwar gibt es auch in Indonesien Fundamentalisten, die die Demokratie als unislamisch ablehnen. Aber bis heute bekennt sich der Mainstream zur Demokratie. Repräsentiert wird er vor allem von zwei starken islamischen Großorganisationen: der Nadlatul Ulama mit 40 Millionen Mitgliedern und der Muhammadiyah mit 30 Millionen Mitgliedern, die beide einen islamischen Staat ablehnen und für Pluralismus eintreten.

Bei allen Erfolgen sollte man Indonesien nicht romantisieren. Vieles genügt nicht den Werten und dem Demokratieverständnis des Westens. Auch der Archipel erlebt eine wachsende Islamisierung. Immer mehr Frauen tragen Kopftuch, Übergriffe auf religiöse Minderheiten nehmen zu. Nicht zuletzt Saudi-Arabien propagiert über Spenden an muslimische Einrichtungen den Wahhabismus. Viele Bezirke erließen Verordnungen, die sich an der Scharia orientieren. In der Provinz Aceh ganz im Westen wurde das islamische Strafrecht eingeführt, das unter anderem Steinigung bei Ehebruch vorsieht. Zugleich kämpft auch Indonesien zusehends mit islamistischen Gruppierungen.

Hilfe auch für Deutschland

Doch die Mehrheit stemmt sich bisher gegen radikale Tendenzen. Viele Menschen sehen den Glauben als Privatsache an, der nichts in der Politik verloren hat. Bei den Parlamentswahlen im April 2014 holte erneut eine säkulare Partei den Sieg. Bei den Präsidentenwahlen drei Monate später gewann mit über 53 Prozent der Stimmen der Politiker Joko Widodo, der als Hoffnungsträger der kleinen Leute, Intellektuellen und Christen antrat. Seine Wahl gilt als Bekenntnis zur Demokratie, Pluralismus und Toleranz. So machte "Jokowi", wie ihn seine Landsleute nennen, einen chinesischstämmigen Christen zu seinem Vize.

Bacharuddin Jusuf Habibie glaubt, dass Indonesiens Erfahrungen auch Deutschland bei der Integration von Flüchtlingen helfen könnten. Man dürfe die Rolle der Kultur nicht unterschätzen, die eng mit der Religion verflochten sei. Deutschland solle den Dialog mit den Neuankömmlingen suchen und dabei seine Kultur und seine Werte vermitteln.

(RP)
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