Was Amerikaner über uns denken "Ich bin Deutsche, fragt mich alles!"

Seit Donald Trumps Wahlsieg schauen wir Deutschen mit Unverständnis auf die USA. Aber zu einer kriselnden Beziehung gehören immer zwei. Was denken die Amerikaner eigentlich über Deutschland? Unsere Autorin hat nachgefragt.

Wie konnten sie nur? Das war das erste, was ich am Morgen des 9. November gedacht habe. Am Tag nach der Wahl Donald J. Trumps zum US-Präsidenten. Und ich war nicht allein.

Ausgerechnet Amerika! Das sind doch die Guten! In jedem Kinofilm gewinnen sie am Ende. Von Weltkriegen ganz zu schweigen. Wenn irgendein Regierungschef auf der Welt Dissidenten erschießt oder Massenvernichtungswaffen anschafft, sind sie da. Sie haben uns das iPhone und "Game of Thrones" geschenkt. Wie konnten sie nur?

"In den Augen der Deutschen hat Amerika die Werte aufgegeben, die sie Deutschland nach dem Krieg selbst mitgaben", sagt David Morris, Historiker an der Library of Congress in Washington und Experte für die Geschichte deutsch-amerikanischer Beziehungen. "Offenheit, Vielfalt, gleiche Rechte für alle." Wir, die Deutschen, sind enttäuscht. Wir verstehen nicht, warum sie diesen Clown, den 45. Präsidenten mit dem orangefarbenen Gesicht, den kleinen Händen und dem schlechten Benehmen, nicht endlich impeachen. Oder ihm wenigstens den Twitter-Account sperren. Wir sind beleidigt. Was ist nur los mit den USA? Es kriselt in der deutsch-amerikanischen Beziehung.

Andererseits: Zu einer Beziehung gehören immer zwei. Was denken eigentlich die Amerikaner derzeit über uns? Gibt es vielleicht Dinge, die sie an uns nicht verstehen können?

Sozialexperiment in einer Washingtoner Kneipe

"I'm from Germany — ask me anything" steht auf dem Schild, mit dem ich an diesem Samstagabend in einer Rooftop-Bar im Ausgehviertel Adams Morgan in Washington, D.C. sitze: Ich bin Deutsche — frag mich alles, was du willst. Das Schild hat einen schwarz-rot-goldenen Rand aus Glitzerpapier und (darauf bin ich besonders stolz): Es blinkt, dank einer speziellen Poster-Lichterkette, die es im Bastelladen zu kaufen gab. Only in America.

 "Ich bin Deutsche, frag mich, was du willst“, steht auf dem Schild, das RP-Redakteurin Helene Pawlitzki gebastelt hat.

"Ich bin Deutsche, frag mich, was du willst“, steht auf dem Schild, das RP-Redakteurin Helene Pawlitzki gebastelt hat.

Foto: Viktoria Großmann

Zu schrill? Egal! Dies ist nicht der Abend für germanische Zurückhaltung, ich möchte gern mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch kommen. Das Format dieses Sozialexperiments habe ich aus dem Internet geklaut, groß geworden sind AMAs ("Ask me anythings") auf Online-Plattformen wie Reddit. "Ich bin ein depressiver Alkoholiker auf Entzug, fragt mich alles!", postet einer, meistens spät nachts, oder "Ich werde nächstes Jahr zum Priester geweiht, fragt mich alles!" oder "Ich bin heute fast bei einem Autounfall gestorben, fragt mich alles." Und dann hagelt es Fragen. Jetzt also ich. Auch wenn ich nicht viel mehr zu bieten habe als mein wenig exotisches Heimatland.

Eine Stunde lang passiert gar nichts. Menschen kommen in die Bar, Menschen verlassen sie, Menschen trinken geeiste Margaritas und Craftbeer. Das Publikum ist im College-Alter, dazwischen das eine oder andere Pärchen Mitte vierzig. Mein Schild blinkt wie ein Flughafentower im Nebel. Stimmt das Klischee, interessieren sich Amerikaner einfach nicht für Europa?

Wie so oft löst Freibier das Problem. Letzte Reste meiner Schüchternheit zurücklassend, stelle ich mich samt Blinkschild in die Mitte der Kneipe und verspreche laut einen Drink für die ersten drei, die mir eine Frage stellen. Noch bevor ich an meinem Platz zurückgekehrt bin, hat sich dort eine kleine Schlange gebildet. Sie besteht aus vier Personen. Immerhin! Einer mehr, als es Freigetränke gibt. (Zum Video der Aktion geht es hier)

"Is Jürgen Klopp the greatest German that ever lived?"

Fragesteller Nummer Eins heißt Rayco und sprengt direkt das Format, denn er kommt gar nicht aus Amerika, sondern von den Kanaren. Er zieht bald nach Deutschland und möchte wissen, welche Stadt ich für die beste halte: Bonn, Köln oder München? Schwierige Auswahl für eine Wahldortmunderin, die in Düsseldorf arbeitet. Wie sich herausstellt, wird es ihn ohnehin nach Bonn verschlagen, er arbeitet für die UN. Ich erkläre ihm, dass Bonn gar nicht so schlecht ist, immerhin eine Studentenstadt, wenn auch etwas hinterm Berg gelegen. "A little out of the way."

Die zweite Frage kommt von Robert, Mitte zwanzig, kariertes Hemd, breites Zahnpastalächeln: "Is Jürgen Klopp the greatest German that ever lived?" Eine Gewissensfrage, die ich zu Hause mal in einer BVB-Kneipe zur Diskussion stellen werde. Diplomatische Antwort: "Ich denke, er ist auf jeden Fall einer der wichtigsten deutschen Fußballtrainer der vergangenen Jahre." Dschurgen, wie man ihn hier offenbar zärtlich nennt.

Lindsay aus Virginia, lange blonde Haare und Fairtrade-T-Shirt, will sehr ernsthaft wissen, was ich vom kapitalistischen amerikanischen Bildungssystem halte im Vergleich zum deutschen, und hält mir die ausgestreckte Rechte zum High Five entgegen, als ich sage, dass Bildung ein Menschenrecht ist. Gutmenschen aller Länder, vereinigt euch!

Die Amerikaner haben nicht gemerkt, dass es in unserer Beziehung kriselt

Zeit für ein Zwischenfazit. Meine Güte, sind die alle nett hier. Und auf die Deutschen so gut zu sprechen! Ich hatte eigentlich erwartet, Deutschlands Rolle in Europa erklären zu müssen, Merkels Entscheidungen in der Flüchtlingskrise oder den Nationalsozialistischen Untergrund. Stattdessen: Städtetipps, Fußball und Kapitalismuskritik. Das urbane, vermutlich überdurchschnittlich gebildete, reiche Washingtoner Kneipenpublikum hat offenbar gar nicht gemerkt, dass die deutsch-amerikanische Freundschaft in der Krise ist.

Eher im Gegenteil, sagt Markus Thiel, Professor für Europastudien an der Florida International University in Miami. "Die Polit-Eliten sehen Deutschland seit Beginn der Ära Trump positiver als vorher. Angela Merkel gilt hier als Anker der Stabilität." Viele Menschen in den USA fassten sich genauso wie die Europäer an den Kopf und fragten sich, was da gerade passiere. "Merkel und Deutschland gelten praktisch als neue Verfechter westlicher Werte." Das Washingtoner Online-Medium Politico goss diese Haltung im März in die Schlagzeile "The leader of the free world meets Donald Trump" — gemeint war Angela Merkel, die neue Anführerin der freien Welt.

Eine bemerkenswerte Entwicklung, betrachtete man die Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen: zeitweise voller Missverständnisse und Enttäuschungen, aber auch mit langen Phasen der großen gegenseitigen Bewunderung.

Historisch waren es eigentlich wir, die Amerika enttäuschten - nicht umgekehrt

Diese Bewunderung gab es auch in den Anfangsjahren der amerikanischen Republik: Zwar hatten viele deutsche Soldaten auf Seiten der Briten gegen die amerikanische Unabhängigkeit gekämpft, entliehen von hessischen Landgrafen. Doch erinnerten sich die Amerikaner lieber an die politische Unterstützung Friedrichs des Großen und die militärische Hilfe des ebenfalls preußischen Barons Friedrich Wilhelm von Steuben, der quasi eigenhändig die zusammengewürfelten Kontinentaltruppen zu einer funktionsfähigen Armee drillte.

Knapp hundert Jahre später, nach der schmerzhaften Erfahrung des Bürgerkriegs, blickten die Amerikaner auf das neu gegründete deutsche Reich und sahen sich selbst: "Aus amerikanischer Sicht war die deutsche Einheit ein Mittel, die Freiheit der Deutschen zu sichern", sagt Historiker David Morris. "Einheit und Freiheit waren ja auch in Amerika Hand in Hand gegangen." Amerikaner verklärten Deutschland so zu einem Land auf dem Weg zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit — was nicht unbedingt der Realität entsprach.

Zudem hatten die deutschen Einwanderer, die besonders im 19. Jahrhundert in die USA strömten, ein positives Image: "Sie waren protestantisch, gut ausgebildet und relativ wohlhabend", sagt Morris. "Damit entsprachen sie dem Bild des Muster-Einwanderers."

Das böse Erwachen kam mit Kaiser Wilhelm II. "Ein militaristischer Expansionist, der dies nicht mal versuchte zu verbergen", sagt Morris. "Er wurde als kriegstreiberisch, autoritär und impulsiv beschrieben — ein bisschen so wie Donald Trump heute." Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg, in dem die USA an der Seite Großbritanniens und Frankreichs gegen Deutschland kämpften, setzte sich das Image des biertrinkenden, polternden Deutschen mit Pickelhaube, des "hässlichen Hunnen", endgültig durch.

Wie wir vom Amerika unter Trump, waren die Amerikaner also einst von uns Deutschen enttäuscht und gezwungen, ihre rosarote Brille abzusetzen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte wieder etwas entstehen, was den Namen "Freundschaft" verdiente.

Und wie denken die USA heute über uns?

Auch ohne Freigetränk haben sich noch ein paar junge Amerikaner an meinen Tisch verirrt. Felicia will wissen, was sie unbedingt probieren sollte, wenn sie nach Deutschland kommt (Currywurst). Carey fragt, wie man den Autobauer ausspricht, der mit P anfängt (Porsche, mit hörbarem e hinten). Vijay beschreibe ich die Geografie der Bundesrepublik und beantworte die Frage, welcher Teil Deutschlands der beste ist: der Westen natürlich.

Der erste, der an diesem Abend etwas fragt, ohne dafür ein Gratis-Getränk zu erwarten, ist Chad, 21, Typ Abercrombie&Fitch. Er braucht ein bisschen Anlauf und fragt, wo ich herkomme und wieviel Prozent der Deutschen Englisch können. Und dann kommt sie — die Nazifrage. Ich hatte schon auf sie gewartet.

"Angesichts eurer Vergangenheit mit den Nationalsozialisten, was denkst du über die Diskussion in Amerika über die Entfernung von Konföderierten-Denkmälern?" Ich versuche zu erklären, dass ich die Neo-Nazis in Charlottesville anachronistisch finde, weil die Geschichte bewiesen hat, dass diese Ideologie nicht der richtige Weg ist; dass ich aber auch finde, man müsse einen Weg aus der aufgeheizten Debatte um Statuen wie der des Südstaaten-Generals Robert E. Lee finden. "Wenn ich nur eine Sache dazu sagen sollte", sagt Chad, "dann diese: Wenn man die Geschichte auslöscht, wird sie sich wiederholen."

Die Nazifrage taucht später am Abend noch einmal auf, wieder geht es um Charlottesville. Wer ist schlimmer, die Nazis bei uns oder bei euch? Für manche Amerikaner ist unsere Geschichte ihre Gegenwart. Sie schauen auf uns durch die Brille ihrer nationalen Erfahrungen. So wie wir die Wahl Trumps nur als Abkehr von den Werten des Grundgesetzes betrachten können — und damit als Absage an den Pluralismus, den wir von den USA übernommen zu haben glauben.

Vielleicht ist es aber Zeit zu erkennen, dass dieser Pluralismus mittlerweile unser eigener geworden ist. Dass wir die USA nicht brauchen, um ihn zu leben. Vielleicht ist es Zeit, die nationale Brille abzunehmen und die USA als das zu betrachten, was sie (vermutlich) sind: ein riesiges Land voller Widersprüche, großartiger Ideen und — gelegentlich — wüster Verirrungen. Ein bisschen wie Deutschland also.

(hpaw)
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