Interview mit Jorgo Chatzimarkakis "Gläubiger sollten Athen 70 Jahre Zeit für Schuldentilgung lassen"

Berlin · Der frühere deutsch-griechische FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis ist seit Ende 2014 Sonderbotschafter der griechischen Regierung. Im Gespräch mit unserer Redaktion erläutert er, wie Athen aus der Schuldenkrise kommen und wie Europa dabei helfen könnte.

 Jorgo Chatzimarkakis fungiert aktuell als Sonderbotschafter Griechenlands.

Jorgo Chatzimarkakis fungiert aktuell als Sonderbotschafter Griechenlands.

Foto: dapd, dapd

Sie sind Sonderbotschafter der griechischen Regierung. Was ist das für eine Position?

Chatzimarkakis Ich bin Ende 2014 noch von der früheren griechischen Regierung zum Sonderbotschafter für europäische Wirtschaftsfragen ernannt worden mit dem Ziel, den Austritt Griechenlands aus dem Sparprogramm sanft zu gestalten. Die neue Regierung hat mich in meinem Elan nicht eingeschränkt. Die Mittel für diese Position tragen gerade mal die Bürokosten und Aufwendungen.

Was treibt Sie persönlich an?

Chatzimarkakis Ich bin ein großer Anhänger des Euro. Ich bin in der politischen Schule von Hans-Dietrich Genscher groß geworden, der maßgeblich zur europäischen Einigung beigetragen hat. Als Deutsch-Grieche war für mich die europäische Idee immer eins der höchsten Ziele. Der Ausbruch der Staatsfinanzkrise 2009/10 hat mich schockiert. Das deutsch-griechische Verhältnis ist seitdem zum politischen Minenfeld geworden. Ich möchte zur Lösung des Problems beitragen. Ich bin fest überzeugt, dass es gelingen kann, in der Eurozone verschiedene Volkswirtschaften zu vereinen. Allerdings brauchen wir alle dafür ein anderes Grundverständnis. Dafür werbe ich.

Es ist kein Problem für Sie, als ehemaliger FDP-Politiker für eine Regierung aus Links- und Rechtsextremisten zu arbeiten?

Chatzimarkakis Die neue griechische Regierung ist darauf angewiesen, Türen geöffnet zu bekommen. Ich bin aus der FDP ausgetreten und bei der Europawahl in Griechenland mit einer eigenen Partei angetreten. Wer sich mein Programm anschaut, der versteht, dass ich überhaupt kein Problem damit habe, Positionen dieser Regierung auch inhaltlich zu verteidigen, etwa wenn es um mehr Rechtsstaatlichkeit geht. Die bisherige Krisenpolitik der EU ist gescheitert. Wir brauchen endlich ein Konzept, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

In der Union gibt es wachsenden Widerstand, einem dritten Hilfspaket ab Juli zuzustimmen. Haben Sie Verständnis dafür?

Chatzimarkakis Ich habe größtes Verständnis dafür. In Griechenland brodelt es ja genauso. Diese griechische Regierung will kein weiteres Hilfspaket beantragen, weil sie die Wirkung der Hilfspakete zu Recht als verheerend ansieht. Wenn in der Union eine ähnliche Meinung herrscht, dann ist man auf einem gemeinsamen Nenner. Man muss sich aber jetzt schon Gedanken machen, was ab Juli passieren soll. Der griechischen Regierung schwebt ein Marshall-Plan für Europa vor, den Varoufakis Merkel-Plan nennt. Vorbild ist, wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt wurde. Auf der Londoner Schuldenkonferenz 1953 wurden Deutschland Schulden erlassen und gestundet. Zusätzlich wurde ein Förder-Fonds für zinsgünstige Kredite angelegt, das Fundament des Marshall-Plans für Deutschland.

Sie fordern also einen Schuldenerlass?

Chatzimarkakis Es geht um eine Schuldenstreckung. Die Abzahlung der Schulden muss auf 50 oder 70 Jahre gestreckt werden. Im Moment werden die meisten Kreditrückzahlungen an die Gläubiger schon in den nächsten 20 Jahren fällig. Durch die Streckung würde die Bonität Griechenlands auf dem Kapitalmarkt schon mal viel besser. Das Land könnte sich leichter wieder am Markt selbst Geld leihen. Griechenland braucht eine ähnliche Vereinbarung, wie sie Nachkriegsdeutschland 1953 auf der Londoner Schuldenkonferenz bekommen hat.

Aber mit der Schuldenstreckung sorgen Sie nicht für mehr Wachstum.

Chatzimarkakis Das muss hinzukommen. Griechenland ist das einzige EU-Land, das keine Entwicklungsbank hat. Eine solche Förderbank braucht Griechenland unbedingt. Vier Monate Zeit für den Aufbau einer griechischen KfW ist realistisch.

Aber das glauben Sie doch selbst nicht! Über eine griechische KfW reden wir doch schon seit vier Jahren!

Chatzimarkakis Dann muss man endlich rausfinden, woran es bisher gescheitert ist. Wir brauchen eine klare und offene Fehleranalyse, dazu ist die neue griechische Regierung bereit. Diese Regierung ist weitestgehend oligarchiefrei. Das ist eine historische Chance, die man nicht vergeben sollte. Der nicht sehr effiziente griechische Staatsapparat ist noch nicht reformiert, sicher. Aber der politische Wille, sich mit den Oligarchen anzulegen, hat bisher immer gefehlt. Die Oligarchen haben wie eine Krake das Mediensystem, das politische System und das Wirtschaftssystem in ihren Händen gehabt.

Muss Deutschland Reparationen an Griechenland bezahlen?

Chatzimarkakis Die Frage der Reparationen ist von den Vertretern der jeweiligen Bundesregierungen nach 1949 sehr geschickt unter den Teppich gekehrt worden. Jegliche juristische Forderung stünde vor dem Internationalen Gerichtshof tatsächlich auf wackeligen Füßen. Das gilt allerdings nicht für die Zwangsanleihe, die das Dritte Reich 1942 von der griechischen Zentralbank erzwungen hat. Der heutige Gegenwert dieser Anleihe ist umstritten. Warum kann Deutschland nicht als späte Entschädigung eine Finanzspritze für eine neue griechische KfW leisten? Die deutschen Milliarden könnten das Startkapital für diese griechische Entwicklungsbank bilden. Deutschland ist für Griechenland der wichtigste Handelspartner. Eine solche Bank könnte helfen, die deutsch-griechische wirtschaftliche Zusammenarbeit zu intensivieren und wäre zum beiderseitigen Vorteil.

Warum darf Griechenland nicht aus dem Euro austreten?

Chatzimarkakis Wirtschaftlich wäre der Euro-Austritt für Griechenland eine Katastrophe. Politisch würde das Land Macht hinzugewinnen. Für Deutschland ist es umgekehrt: Wirtschaftlich wäre der griechische Euro-Austritt verkraftbar, politisch wäre er für Deutschland ein Desaster, denn er wäre das Eingeständnis des totalen Scheiterns der Euro-Krisenpolitik. Die Kapitalanleger würden sich dann vom Euro abwenden.

Das Gespräch führte Birgit Marschall.

(mar )
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