Kritik an Jury Friedensnobelpreis in unsicheren Zeiten

Oslo · In Zeiten zunehmender Konflikte ist der Ruf des Friedensnobelpreises so schlecht wie nie. Umstrittene Vergaben, die Abhängigkeit von der norwegischen Regierung und die Amateurhaftigkeit der Jury haben dazu beigetragen.

 Die Vergabe der Friedensnobelpreis-Medaille ist längst nicht mehr unumstritten.

Die Vergabe der Friedensnobelpreis-Medaille ist längst nicht mehr unumstritten.

Foto: dpa, loch ts hpl tba

Lange hatte der Friedensnobelpreis einen nahezu unantastbar guten internationalen Ruf. Er galt als mutig, als weitblickend. Erinnert sei an die Auszeichnung des deutschen Dissidenten Carl von Ossietzky 1936, die Adolf Hitler zur Weißglut trieb, und wohl eine der weitsichtigsten und mutigsten Entscheidungen der Jury überhaupt war.

Doch das Ansehen für den Preis sinkt. Das geht über die gewöhnlichen Zankereien hinaus, die der politische Preis traditionell mit sich bringt. Die Preisvergabe etwa an den erst frisch ins Amt gewählten US-Präsidenten Barack Obama 2009 oder an die Europäische Union 2012 in ihrer schlimmsten Krise wurden kritisiert.

In einem Brief erklärten damals drei frühere Preisträger, darunter Erzbischof Desmond Tutu, dass die EU "eindeutig kein Vorkämpfer für den Frieden" sei. Die Entscheidung verfälsche den Willen Alfred Nobels.

Als wohl größte Fehlentscheidung wurde die Wahl des erst 17-jährigen pakistanische Schulmädchen Malala Yousafzai Ende des Konfliktjahres 2014 gewertet.

Spätestens seit 2014 fragen sich Konfliktexperten weltweit, was beim wichtigsten aller Friedenspreise los ist. "Die Preisrichter haben in jüngster Zeit immer wieder darin versagt, wichtige Entwicklungen vorauszusehen, die durchaus vorauszusehen waren", sagt Kristian Berg Harpviken, Chef des norwegischen Friedensforschungsinstitutes Prio dieser Zeitung. "Hätten sie etwa vor vier bis fünf Jahren einen wichtigen russischen Dissidenten mit dem Friedensnobelpreis gekürt, hätte dies die Entwicklungen in Russland positiv beeinflusst", sagt er.

Die Zusammensetzung der Jury folgt den Mehrheitsverhältnissen im norwegischen Parlament. Das führte in der Vergangenheit immer wieder zu einer Besetzung der Sitze mit Amateuren. "Die Jury wurde nicht nach Können besetzt, sondern galt als Belohnung für altgediente Spitzenpolitiker unabhängig von ihrer Qualifikation", kritisiert Harpviken.

Ausgerechnet Geir Lundestad, von 1990 bis 2015 Direktor des norwegischen Nobel-Instituts, hatte 2015 ein Buch über die Jurymitglieder veröffentlicht, in dem er sie als "Idioten" bezeichnete. Offen prangerte er deren Inkompetenz, das Fehlen von Interesse an Kernthemen des Preises und selbst mangelnde Englischkenntnisse an.

Die Kritik an der Jury hat bereits einiges bewirkt. Vor vier Jahren haben die Sozialdemokraten mit Berit Reiss-Andersson erstmals eine Frau in die Jury gebracht, die nicht durch ihre politische Karriere, sondern durch Sachkenntnis überzeugte. Die Konservativen folgten dem guten Beispiel mit der Ernennung des Friedensforschers Henrik Syse. "Wir dürfen auf qualifiziertere Entscheidungen in der Zukunft hoffen", sagt Harpviken.

Auch die Unabhängigkeit der Jury von der norwegischen Regierung wird immer wieder zurecht infrage gestellt. So wurde nach der Ernennung des chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo 2010 bekannt, dass die norwegische Regierung versucht hatte, dies zu verhindern, weil die Beziehungen zur Wirtschaftsmacht in Fernost darunter leiden würden.

Harpviken hält dagegen: "Das Faktum, dass die Jury 2010 dem Druck aus der Regierung im Fall von Liu Xiaobo standhielt, zeigt, dass der Preis seinen unabhängigen Ruf insgesamt noch immer verdient, auch wenn es Probleme gab", sagt Prio-Chef Harpviken.

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