Kubas früherer Machthaber ist tot Fidel Castro — der letzte Kommunist

Havanna · Rebell und Staatsmann, Marathonredner und Baseballfan - mit Fidel Castro verliert die Welt einen der schillernsten Politiker des 20. Jahrhunderts. Die einen verehrten ihn als großen Revolutionär, die anderen verachteten ihn als brutalen Diktator.

Fidel Castro - Fotos aus einem bewegten Leben
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Eindrücke aus dem Leben von Fidel Castro

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Foto: dpa, pg cu bjw

Die Revolution, spottete Fidel Castro einmal, sei kein Rosenbett. Der Kampf fordere nun mal seine Opfer. Sein eigener Kampf ist zu Ende. In der Nacht zu Samstag starb der ewige Revolutionär im Alter von 90 Jahren. Castro rechtfertigte mit seinem Spruch vom Rosenbett das brutale Vorgehen seiner Schlächter in den ersten Jahren nach dem Sturz des ebenso brutalen Diktators Batista 1959, als er Tausende politische Gegner einsperren und hinrichten ließ. Ohne Gerichtsverfahren und ohne zu prüfen, ob die bisweilen vage formulierten Vorwürfe gegen die "Konterrevolutionäre" oder "CIA-Agenten" der Wahrheit entsprachen, säuberte Castro seine Insel von innenpolitischen Gegnern. Er ließ sie einfach umbringen.

Es war das Jahr, als Castro begann, Geschichte zu schreiben. Der Kampf gegen den ideologischen Intimfeind USA sollte fortan seine Lebensaufgabe werden. Washington nahm Castro niemals richtig ernst, die von der CIA eingefädelte und kläglich gescheiterte Schweinebucht-Invasion 1961 brachte ihm den Ruf ein, unbesiegbar zu sein. Ein Jahr später hielt die Kubakrise die Welt in Atem: Damals ging es um die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba. Die Welt stand am Rande eines Atomkrieges. Die Sowjets zogen ihre Raketen ab, zum Unwillen Castros, wie es aus Quellen in Havanna hieß.

So reagiert die Welt auf Fidel Castros Tod
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Heute, ein gutes halbes Jahrhundert nach den Wirren der ersten Jahre der kubanischen Revolution, scheinen diese politischen Morde längst in Vergessenheit geraten. Geblieben ist das romantische Bild eines Zigarre rauchenden Revolutionärs, der sich als Philosoph und Wächter eines einzigartigen politischen Experiments verstand und inszenierte. Es war wohl der größte Erfolg des Sohnes eines reichen Plantagenbesitzers, dass sein Image eher dem eines romantischen Freiheitskämpfers entsprach als dem eines skrupellosen Diktators, der seine Macht vor allem darauf stützte, politische Gegner aus dem Weg zu räumen.

Dabei war er seinem gnadenlosen Umgang mit Oppositionellen bis zuletzt treu geblieben. Als eine Gruppe von Wissenschaftlern und Journalisten zu Beginn dieses Jahrzehnts das marode Wirtschaftssystem und die mangelnde Meinungsfreiheit auf Kuba anprangerte, ließ Castro seinen gefürchteten Inlandsgeheimdienst durchgreifen. Mit Beginn des "Schwarzen Frühlings" im März 2003 wurden 90 Personen, darunter 27 Journalisten, festgenommen und zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Erst nach langen Verhandlungen seines Bruders Raúl mit der katholischen Kirche kamen die Gefangenen frei. Damals hatte sich die Situation für die Machthaber in Havanna zugespitzt. Viele der politischen Häftlinge hatten einen Hungerstreik begonnen. Sie wollten damit ein Zeichen setzen gegen die Folter in kubanischen Gefängnissen. Der Tod des hungerstreikenden Handwerkers Orlando Zapata Tamayo Anfang 2010 änderte die Situation schlagartig. Auch im Jahr 2016 zählten Menschenrechtsorganisationen fast 10.000 Verhaftungen, die meisten allerdings nur für ein paar Tage.

Bekannte Zitate von Fidel Castro
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Der Castro-Clan reagierte wie stets, wenn er in den vergangenen fünf Jahrzehnten unter Druck kam: pragmatisch. Kuba ließ fast alle politischen Gefangenen nach Spanien und in die Vereinigten Staaten ausfliegen. Dort sind die Dissidenten nun zwar frei, haben aber nahezu keinen Einfluss mehr auf die politische Entwicklung der abgeschotteten Insel.

Seit den Gesprächen mit Staatspräsident Raúl Castro, der seinen erkrankten Bruder 2008 endgültig als Präsident ablöste, ist die katholische Kirche die einzige Organisation in Kuba, die öffentlich Kritik üben darf. Erst vor wenigen Tagen mahnte das Erzbistum Havanna an, endlich Raum in den Schulen und den Medien zu erhalten. Auch sie bleibt bislang vom staatlichen System ausgesperrt, darf aber zumindest kritisieren, ohne dass die Handschellen klicken.

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Was auch nur einen kapitalistischen Anschein erweckte, wurde vom Bannstrahl des bärtigen Staatschefs aus Havanna getroffen. Es gab keine Taxis, die Kubaner durften nicht im Hotel absteigen, jeder private Handel war verboten. Die Kubaner bezahlten diese Wirtschaftspolitik unter Castro mit bitterer Armut. Sichtbar wird sie sogar in den Touristenhochburgen. Für eine Handvoll Dollar oder Euro verkaufen die Frauen ihren Körper, um zu überleben und ihre Familien durchzubringen. In den Lokalen Havannas und an den Promenaden wiederholt sich jeden Abend dieses entwürdigende Schauspiel.

"Eine der größten Errungenschaften unserer Revolution ist, dass selbst unsere Prostituierten Akademiker sind", sagte Castro 2003 im Dokumentarfilm "Comandante" des Regisseurs Oliver Stone. So ist das wirklich mit dem vielgerühmten kubanischen Bildungssystem: Es produziert jede Menge Akademiker, die allerdings keine Jobs finden. Immerhin kubanische Mediziner sind im Ausland begehrt.

Viele versuchen zu flüchten. Hunderttausende Kubaner wagten und wagen sich auch heute noch auf den gefährlichen Seeweg nach Florida. Wie viele dieser verzweifelten Menschen in den Fluten der Meerenge zwischen Kuba und Florida ertranken, hat niemand gezählt. Castro schwieg lange zu den Massenfluchtwellen, bis er in einer legendären Rede zum Maifeiertag 1980 die Flüchtlinge als "arbeitsscheuen Abschaum" beschimpfte.

Kubas Machthaber haben unterdessen ihr Wirtschaftsmodell faktisch für gescheitert erklärt. Schritt für Schritt öffnet sich die Insel für die zuvor verhasste Marktwirtschaft. Private Kleinunternehmer sollen nach dem Willen Raúl Castros mit ihrem Engagement nun auffangen, was die Staatswirtschaft unter Fidel während eines halben Jahrhunderts ruinierte.

Ein Tabu nach dem anderen fiel: Der Immobilienhandel, das Transportwesen, das Handwerk sollen künftig nahezu privatwirtschaftlich organisiert werden. "Aktualisierung des sozialistischen Modells", so heißt das in der Sprache des Regimes.

Fidel Castro hatte natürlich schon vor langer Zeit den Schuldigen für die Misere ausgemacht: die Vereinigten Staaten. Deren Wirtschaftsembargo dient seit je als Entschuldigung für die Unfähigkeit der kubanischen Wirtschaft und die Stagnation im Geistesleben. "Meine eigentliche Bestimmung ist der Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika", fasste Castro einmal sein politisches Lebenswerk zusammen. Das sicherte ihm stets Förderer, die das Land vor dem Kollaps bewahrten: im Kalten Krieg die Sowjetunion, bis vor Kurzem das ölreiche Venezuela. Im Gegenzug gewährte Castro seinem politischen Ziehsohn aus Caracas regelmäßig persönliche Audienzen: Doch auch den 2013 an Krebs verstorbenen Hugo Chavez überlebte Castro. Es folgte der katastrophale ethische und wirtschaftliche Absturz Venezuelas.

Was bleibt nun nach 90 Jahren Fidel Castro? Der Stolz, trotz großen Drucks des mächtigen Nachbarn, stets die Revolution verteidigt zu haben. Und eine Insel, die ohne Hilfe von außen nicht mehr überleben kann und die ihre Kritiker ins Ausland entsorgt wie ein Stück Müll.

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