Demos vor der Haustür von Politikern Die Spanier finden ihre neue Protestform

Madrid · Die Spanier leiden unter der Euro-Krise, die Wut auf die Regierung ist groß. Ihrem Unmut haben sie schon auf verschiedenste Art und Weise zum Ausdruck gebracht. Ein Bürgermeister trat aus Protest in den Hungerstreik, andere plünderten Supermärkte und verteilten die Lebensmittel an Arme. Nun haben die Spanier eine neue Protestform für sich entdeckt: Sie demonstrieren direkt vor den Wohnungen von Politikern.

Warum Spanien unter den Rettungsschirm flüchtet
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Neu ist diese Form der Proteste nicht, aber wirksam: In Argentinien demonstrierten Menschen in den 90er Jahren vor den Wohnungen von Militärs, weil Folterer der Diktatur ohne Strafe davongekommen waren.
In Spanien entdecken Gegner der Regierung von Rajoy diese Proteste. Demonstrationen gegen die Politik der Regierung finden nicht mehr allein auf großen Plätzen in den Zentren der Städte statt, sondern auch in den Nobelvierteln am Stadtrand vor den Wohnungen von Politikern.

Die Kundgebungen werden organisiert vom Zusammenschluss PAH (Plattform der Hypothek-Betroffenen), der dagegen ankämpft, dass mittellose Spanier zwangsweise aus ihren Wohnungen ausquartiert werden. Die Initiative sammelte 1,5 Millionen Unterschriften für eine Gesetzesreform. Allein im vorigen Jahr wurden fast 50.000 Zwangsräumungen vollstreckt, weil die Wohnungsinhaber die Raten der Bankdarlehen nicht zahlen konnten. Einige Betroffene nahmen sich aus Verzweiflung gar das Leben.

Rajoy: "Das ist zutiefst undemokratisch"

Mit den Protesten vor den Haustüren der Politiker wollen die Demonstranten den Anwohnern signalisieren: Hier wohnt jemand, der für die Zwangsräumungen mitverantwortlich ist. Die neue Form des Protests stieß bei der Regierung und den etablierten Parteien auf heftige Kritik. "Das ist zutiefst undemokratisch", meinte der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy. "Niemand darf belästigt oder eingeschüchtert werden, erst recht nicht, wenn er von der Mehrheit der Bürger gewählt wurde." Auch die Sozialisten sprachen sich gegen solche Kundgebungen aus.

Innenminister Jorge Fernández Díaz ordnete an, dass die Polizei die Personalien der Demonstranten aufnimmt. "Der Zweck darf niemals die Mittel heiligen", sagte der Minister der Zeitung "El Mundo". Wenn dagegen nicht vorgegangen wird, könnten solche Proteste sich demnächst auch gegen missliebige Richter oder Journalisten richten.

Demgegenüber meint die PAH-Sprecherin Ada Colau: "Unsere Proteste sind stets friedlich." Die Demonstranten wollten die Politiker lediglich dazu auffordern, an das eigene Gewissen zu denken und nicht nur an die Fraktionsdisziplin. "Nicht wir überschreiten die Grenzen der Legalität, sondern die Banken und die Regierungen", sagte Colau der Zeitung "El País". "Da werden Riesensummen an Steuergeldern in marode Banken gesteckt, während verzweifelte Bürger sich aus dem Fenster stürzen."

Ursprung in Argentinien und Uganda

Die Idee zur neuen Form der Proteste stammt ursprünglich aus Argentinien und Uruguay. Dort hatten in den 90er Jahren Demonstranten vor den Wohnungen von Militärs und Folterern gegen die Verbrechen der Militärdiktaturen protestiert. Die Kundgebungen wurden als "Escrache" (Bloßstellung) bezeichnet. Dieser Begriff wird nun auch für die spanischen Proteste vor den Haustüren von Politikern benutzt, obwohl er in Spanien im Sprachgebrauch nicht üblich ist.

"Die 'Escraches' sind eine legitime Form des Protests, solange sie friedlich sind und keine Familienangehörige der Politiker eingeschüchtert werden", meinte der Soziologe Xavier Martínez Celorrio. Demgegenüber spricht die Zeitung "El Periódico de Catalunya" den Demonstranten in Spanien das Recht ab, sich auf das argentinische Vorbild zu berufen: "Die Proteste in Argentinien richteten sich dagegen, dass Folterer ohne Strafe davonkamen. In Spanien hingegen setzen die Demonstranten gewählten Abgeordneten zu, weil diese im Parlament anders abstimmen als gewünscht."

(dpa/das/sgo)
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