Reaktion auf Putschversuch Ausnahmezustand in der Türkei schon in Kraft

Istanbul · Erst eine Welle von Verhaftungen, jetzt der Ausnahmezustand: Die türkische Regierung tut nach dem Putschversuch allles, um ihre Macht auszubauen. Zwar soll alles nur der Verfolgung der als Drahtzieher beschuldigten Gülen-Bewegung dienen. Die Zweifel sind aber groß. Das Auswärtiges Amt rät zu "äußerster Vorsicht".

Schon vor dem Ausnahmezustand zeigte die türkische Polizei starke Präsenz

Schon vor dem Ausnahmezustand zeigte die türkische Polizei starke Präsenz

Foto: ap, BO

Schon in der Nacht ist der von Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündete Ausnahmezustand in Kraft getreten. Noch am Donnerstag soll sich das Parlament mit der Maßnahme befassen. Es kann die dreimonatige Dauer des Ausnahmezustands verändern oder ihn aufheben, womit angesichts der klaren Mehrheit von Erdogans AKP in der Nationalversammlung nicht zu rechnen ist.

Erdogan hatte den Ausnahmezustand in der Nacht nach einer einer Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrates sowie des Kabinetts in Ankara verkündet. Unter dem Ausnahmezustand kann der Staatspräsident weitgehend per Dekret regieren. Die Maßnahme zielt auf Anhänger des Predigers Fethullah Gülen ab, den Erdogan für den Putschversuch mit mehr als 260 Toten verantwortlich macht.

Vize-Ministerpräsident und Regierungssprecher Numan Kurtulmus erklärte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, vor allem die Befugnis zur Erlassung von Dekreten solle genutzt werden. Kurtulmus bezog sich auf eine "Parallelstruktur", einen Begriff, den die Regierung für die Gülen-Bewegung benutzt. "Der Ausnahmezustand wird nur dazu genutzt, die Parallelstruktur zu bekämpfen", sagte Kurtulmus. Der Ausnahmezustand betreffe nicht das Volk, sondern den Staat. Das alltägliche Leben der Bürger werde nicht beeinflusst. Auch die Arbeit des Parlaments bleibe unberührt.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte die Türkei auf, den Ausnahmezustand auf möglichst kurze Zeit zu begrenzen. Er müsse "auf die unbedingt notwendige Dauer beschränkt und dann unverzüglich beendet" werden, sagte Steinmeier bei einem Besuch in Washington. "Alles andere würde das Land zerreißen und die Türkei schwächen, nach innen wie nach außen." Mit der Verhängung des Ausnahmezustands werde deutlich, welch "tiefe Spuren" nach dem gescheiterten Putsch durch Politik und Gesellschaft in der Türkei gingen.

Das Auswärtige Amt hat Reisenden dringend empfohlen, immer ein gültiges Ausweisdokument mit sich zu führen. "Ausgangssperren können nun überall kurzfristig verhängt und allgemeine Personenkontrollen jederzeit durchgeführt werden", heißt es in einem aktualisierten Reisehinweis. Das Ministerium riet weiter "zu äußerster Vorsicht", insbesondere bei Menschenansammlungen auf öffentlichen Plätzen in Ankara und Istanbul.

Türkische Spitzenpolitiker versuchten zu beruhigen: Vize-Ministerpräsident Mehmet Simsek teilte via Twitter mit, der Ausnahmezustand werde weder die Pressefreiheit noch die Versammlungs- oder die Bewegungsfreiheit einschränken. Es handele sich nicht um die Ausrufung des Kriegsrechts wie unter der Militärdiktatur 1980. Das Leben gewöhnlicher Menschen werde nicht beeinträchtigt. Geschäfte würden normal weiterlaufen. "Wir sind der Marktwirtschaft verpflichtet." Die türkische Lira stürzte nach der Verhängung des Ausnahmezustands weiter ab.

Auch Ministerpräsident Binali Yildirim teilte über Twitter mit, der nach dem Putschversuch verhängte Ausnahmezustand sei nicht gegen das alltägliche Leben der Menschen gerichtet. Erdogan versuchte nach der Verkündung des Ausnahmezustands gleich in mehreren nächtlichen Ansprachen ans Volk, mögliche Bedenken zu zerstreuen. "Habt keine Sorge", sagte er. "Es wird im Ausnahmezustand definitiv keine Einschränkungen geben. Dafür garantieren wir." Der Ausnahmezustand sei zum Schutz der Bevölkerung und "definitiv nicht gegen Rechte und Freiheiten" gerichtet. Ziel sei es, die Demokratie und den Rechtsstaat wiederherzustellen. "Wir werden von der Demokratie keinen Schritt abweichen."

Erdogan wies Kritik aus der EU an seinem Kurs zurück. Mit Blick auf Frankreich sagte er, auch europäische Länder hätten bereits bei weniger gravierenden Anlässen den Ausnahmezustand verhängt. "Sie haben definitiv nicht das Recht, die Türkei zu kritisieren." Über die Anhänger Gülens sagte Erdogan: "Egal wohin sie fliehen, wir sind ihnen auf den Fersen." Der Präsident forderte von den USA erneut die Auslieferung Gülens.

Seit dem Putschversuch geht die Regierung mit harter Hand gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor. Zehntausende Staatsbedienstete wurden suspendiert, mehr als 8500 Menschen festgenommen. Auch nach der Ausrufung des Ausnahmezustands geht die Verhaftungswelle weiter. Weitere 32 Richter und zwei Militäroffiziere seien festgenommen worden, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag.

(crwo/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort