70. Jahrestag Hiroshima, 6. August 1945 - eine Bombe tötet 70.000 Menschen

Düsseldorf · Vor 70 Jahren brach in der japanischen Hafenstadt das nukleare Inferno los. Die Atombomben-Abwürfe beendeten den Zweiten Weltkrieg - und öffneten die Tür zu einer neuen Dimension der Kriegführung.

6. August 2012: Japan gedenkt den Opfern von Hiroshima
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6. August 2012: Japan gedenkt den Opfern von Hiroshima

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An diesem Montagmorgen beginnt Hiroshima die neue Woche wie viele andere zuvor. Menschen sitzen beim Frühstück, andere haben ihre Arbeit längst aufgenommen. Kinder sind auf dem Weg zur Schule. Sie haben sich wie immer von ihren Eltern verabschiedet - an diesem schwül-heißen Sommertag in Kriegszeiten.

Es hat noch in der Frühe Fliegeralarm gegeben. Gegen 7.30 Uhr folgt Entwarnung. Die Menschen wiegen sich in Sicherheit. In Wirklichkeit hat der Countdown zum Untergang längst begonnen. Um 8.16 Uhr dann ein gleißender Blitz am Himmel, der die Heimat in eine Hölle verwandelt. Ein Feuerball von mehr als 500 Meter Durchmesser macht die Stadt zu einem Glutofen von nahezu 3000 Grad Celsius - Eisen schmilzt schon bei gut 1500 Grad.

Noch weit entfernt vom Zentrum verglimmen die Vögel mitten im Flug, Bäume zerfallen zu Asche, Häuser wirbeln umher wie Zettel im Wind. Schätzungen sagen: Zwischen 70.000 und 100.000 Menschen sind sofort tot. Sie sind in dem apokalyptischen Inferno verglüht: Die USA haben erstmals eine Atombombe als Kriegswaffe eingesetzt.

Drei Tage später ereilt Nagasaki das gleiche Schicksal. Ursprünglich wollten die USA Japans Rüstungsschmiede Kokura auslöschen. Doch wegen schlechter Sicht dreht Pilot Charles Sweeny bei und nimmt Kurs auf den Ersatzort Nagasaki. Um 11.02 Uhr klinkt er die tödliche Last über dem Urakami-Tal aus. Bei diesem Angriff sterben rund 40.000 Menschen unmittelbar; wie in Hiroshima werden Tausende verletzt, verkrüppelt und bis heute, 70 Jahre danach, traumatisiert.

Was hat US-Präsident und Oberbefehlshaber Harry S. Truman bewogen, beide Einsätze anzuordnen, die die Menschheit in ein neues Zeitalter der Angst vor ihrem Untergang katapultierten? Nach 1945 brach ein Wettrüsten zwischen den Großmächten los, gefolgt vom Ehrgeiz regionaler Machthaber, die nach der Bombe gieren, weil sie sich Machtzuwachs und die Zementierung einer Vormachtstellung erhoffen. Auch wenn die USA und Russland ihre Arsenale verkleinerten, so modernisierten sie andererseits die schrecklichste aller Waffen und steigerten ihre Sprengkraft noch.

Wollte Truman die Waffe an Menschen testen? Wollte er der Welt Amerikas militärische Überlegenheit demonstrieren, wollte er Vergeltung für japanische Grausamkeiten auf den Schlachtfeldern Asiens und des Pazifiks, wollte er Rache für Pearl Harbor - oder wollte er die Japaner strafen, die noch immer den Krieg fortführten, obwohl er mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai in Europa bereits beendet war?

Truman schreibt in seinen Memoiren: "Die letzte Entscheidung, wo und wann die Atombombe einzusetzen war, lag bei mir, und ich möchte jedem Irrtum vorbeugen: Ich hielt die Atombombe für ein Kampfmittel und zweifelte nie daran, dass es eingesetzt werden müsse. Meine höchsten militärischen Berater empfahlen den Einsatz, und auch Churchill befürwortete ohne jedes Zögern die Verwendung der Bombe, sofern dies zur Abkürzung des Krieges beitrage."

Am 7. Dezember 1941 hatten die Japaner die US-Flotte auf Pearl Harbor auf Hawaii angegriffen und ihr schweren Schaden zugefügt. Japan glaubte, nun dauerhaft freie Hand für die Sicherung seines kriegswichtigen Rohstoffnachschubs und von Stützpunkten in Südostasien zu haben. Doch Amerika und Großbritannien erklärten dem Kaiserreich einen Tag später den Krieg.

Seit vielen Jahren verfolgte die japanische Führung einen Expansionskurs, um ihre Einflusssphäre in Asien massiv auszuweiten. Im Juli 1937 war es zum Krieg mit China gekommen. Beim Massaker von Nanking waren japanische Soldaten mit bestialischer Grausamkeit vorgegangen. Mehr als 200.000 Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und Gefangene, wurden ermordet. Mehr als 20.000 Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt.

1938 baute Japans Armee im Satellitenstaat Mandschukuo im Norden Chinas die Einheit 731 auf. Ihr Ziel: Waffen für die biologische Kriegführung. Experimente wurden vor allem an chinesischen Gefangenen gemacht. Anfang 1942 legten die Japaner Hand auf die Inselwelt Niederländisch-Indiens und die Philippinen; das britische Singapur geriet unter ihre Herrschaft.

Das Ende des japanischen Vormarsches in Asien begann mit der Schlacht bei den Midway-Inseln im Pazifik im Juni 1942: Die Niederlage der überlegenen japanischen Flotte wurde mit kriegsentscheidend. Nach dem Fall der Inselkette Okinawa südlich von Japan gab es ab Juli 1945 nur noch Rückzugsgefechte in einem aussichtslosen Krieg und die düstere Aussicht auf eine Abwehrschlacht gegen die Alliierten im eigenen Land. An Kapitulation war nicht zu denken, denn das Oberkommando in Tokio wollte bis zum bitteren Ende kämpfen.

Der Kampf um Okinawa (April bis Ende Juni 1945) als letzte Verteidigungslinie vor Japans Kernland hatte 12.500 US- und 70.000 japanische Soldaten das Leben gekostet. Dazu kamen rund 150.000 Einheimische. Welchen Blutzoll würde eine Invasion des Festlandes fordern?

Wären die Verluste aus US-Sicht vertretbar, oder ließe sich die sich abzeichnende Niederlage Japans beschleunigen und die Opferzahl so begrenzen? Japan lag wirtschaftlich und militärisch am Boden, es hatte kaum noch Rohstoffe für seine Rüstung. Die Luftabwehr war weitgehend ausgeschaltet, die kaiserliche Flotte vernichtet. Außerdem litten die Menschen unter der schlechten Versorgung. US-Regierungsstellen sagen, ohne den Einsatz der Bombe hätte sich Japan ein Jahr später ergeben müssen. So kapitulierte es am 15. August. Was Truman wirklich zum Bombenabwurf bewogen hat, wird wohl offenbleiben.

Amerika hatte seine erste Atombombe am 16. Juli 1945 in der Wüste von New Mexico getestet. Mit dem Abwurf auf Hiroshima Wochen später meinte Truman, politisch alle Trümpfe in der Hand zu haben, um den globalen amerikanischen Führungsanspruch zu unterstreichen. Ihm ging es wohl auch darum, mit diesem nuklearen Faustpfand Moskau zu beeindrucken und Stalins Expansionsstreben zu beenden.

Doch Truman täuschte sich: Am 12. August 1949 zündete Moskau seine erste eigene Atombombe zu Testzwecken. Das war die Geburt des atomaren Wettrüstens.

(RP)
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