EU-Parlamentarier als Augenzeugen in Brüssel "Fassungslos gespenstische Atmosphäre"

Brüssel · Die Explosionen in Brüssel treffen das politische Zentrum der EU ins Herz. Zahlreiche deutsche Europa-Parlamentarier erleben den Terror-Alarm hautnah mit - hier sind ihre Augenzeugenberichte.

Nach der Explosion an der U-Bahn-Haltestelle Maelbeek hat die EU-Kommission alle Mitarbeiter angewiesen, die Gebäude nicht zu verlassen oder gleich ganz zu Hause zu bleiben. Auch aus dem Gebäude des EU-Parlaments komme derzeit keiner mehr rein oder raus, berichtet der deutsche Abgeordnete Herbert Reul (CDU) unserer Redaktion:

"Ich bin seit 7.15 Uhr hier im Büro. Es liegt im 14. Stock im Gebäude des EU-Parlaments mitten in Brüssel. Um kurz nach halb 9 Uhr bekamen wir die schreckliche Nachricht von den Explosionen am Brüsseler Flughafen mit, wenig später vom Brand in der Metrostation, die ganz in der Nähe liegt, etwa 700 Meter von uns entfernt. Ich bin jetzt zugegeben etwas unruhig. Wir hören von draußen viele Alarmgeräusche. Das Parlamentsgebäude wurde komplett zugemacht. Ich bleibe jetzt erst mal hier.

Ich hatte heute Nachmittag einen Termin mit Besuchern von der Textilindustrie aus Berlin, der wurde abgesagt, die kommen jetzt nicht mehr. Wir spüren hier alle eine starke Anspannung. Der Eingang des Gebäudes hat schon vor Wochen einen neuen Sicherheitsbereich erhalten. Unter dem Gebäude liegt eine Eisenbahnstation, das beunruhigt mich ein wenig und ich frage mich, warum das so gebaut werden musste.

Gerade hatte sich die Terrorangst in Brüssel gelegt, alles war wieder im Normalmodus, jetzt ist sie wieder da."

Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, ist ebenfalls derzeit in Brüssel. Unserer Redaktion sagte er:

"Mir geht es gut. Ich gehe jetzt wieder in den Ausschuss. Ich leite den Ausschuss seit 9 Uhr, wir haben die Sitzung nur kurz unterbrochen. Wir machen hier weiter. Eine Mitarbeiterin von mir hat sich krankgemeldet, wir können sie nicht erreichen, ich hoffe, dass es ihr gut geht. Unsere Angehörigen sind natürlich aufgeregt. Aber wir machen hier weiter.

Mit so etwas muss man in diesen Zeiten immer rechnen. So was kann auch in Berlin passieren. Ich vermute, das das war ein Revancheakt nach der Festnahme von Abdeslam. Oder der Fahndungsdruck war so stark, dass sich die Terroristen gedacht haben, wir müssen jetzt raus, bevor wir erwischt werden."

Auch Sven Giegold, EU-Parlamentarier der Grünen, will weiterarbeiten:

"Ich bin seit 8 Uhr im Europaparlament, da begann eine Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung. Hier herrscht eine fassungslos gespenstische Atmosphäre im Gebäude. Wir haben uns entschlossen, die Arbeit normal fortzusetzen. Denn das wollen die Terroristen ja: Dass wir hier in Europa aufhören, unser normales Leben zu führen. Den Gefallen werden wir ihnen nicht tun.

Die Anschläge von Paris galten dem kulturellen Zentrum Europas. Diese hier in Brüssel gelten jetzt dem politischen Zentrum Europas. Damit wollen sie unsere Freiheit und Demokratie angreifen. Das lassen wir nicht zu. Wir in Europa lassen uns nicht kleinkriegen. Dass sie sich ausgerechnet die Karwoche ausgesucht haben, die Trauerwoche des Christentums, ist schrecklich.

Ein Mitarbeiter von mir hatte großes Glück: Er war nur zwei, drei Minuten vor dem Anschlag in der Metro-Station. Er hat die ganzen Splitter gesehen, das ganze Elend. Ich habe ihm erst mal freigegeben."

Kaum 150 Meter entfernt von der Brüsseler Metrostation steht das ein Abgeordnetengebäude, in dem auch CDU-Politiker Karl-Heinz Florenz aus Neukirchen-Vluyn sein Büro hat. "Wir sind angehalten worden, das Gebäude nicht zu verlassen", teilt der Europaabgeordnete aus Neukirchen-Vluyn am Mittag telefonisch mit. Von den Explosionen habe er am frühen Morgen durch einen flämischsprachigen Nachrichtensender erfahren. "Ich habe sofort aufs deutsche Morgenmagazin umgeschaltet", sagt er. Danach habe er sich rasch ins Büro begeben. "Kaum hatte ich die Autotür zugemacht, als 30 Militärfahrzeuge mit Blaulicht die Straße herab kamen, die Soldaten alle mit Sturmmaske."

Vom seinem Büro in der Rue Wiertz könne man Polizei patrouillieren sehen. Eigentlich hätte er heute eine größere Veranstaltung mit rund 1000 Teilnehmern vor dem nationalen Parlament besuchen sollen, "doch wie wir hören, können viele Teilnehmer nicht mehr in Brüssel landen". Karl-Heinz Florenz ist seit 1989 Europaabgeordneter für die gesamte Region Niederrhein.

(mar)
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