Kanzlerin in Lateinamerika Merkels Drahtseilakt vor dem G20-Gipfel

In einer typischen Merkel-Mammut-Reise besuchte die Kanzlerin in gut drei Tagen Argentinien und Mexiko. Wenn sie Sonntagmorgen wieder in Berlin landet, wird sie seit Mittwochabend insgesamt 36 Stunden im Regierungsairbus gesessen haben, um mit den Lateinamerikanern die G20-Ziele zu besprechen.

 Angela Merkel traf in Mexiko-Stadt Mexikos Präsidenten Pena Nieto.

Angela Merkel traf in Mexiko-Stadt Mexikos Präsidenten Pena Nieto.

Foto: rtr, TB/HH

Hamburg steht ein denkwürdiger G20-Gipfel bevor. Dieses jährliche Treffen dient eigentlich dazu, dass die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gemeinsame Ziele für Wirtschaftswachstum, Klimaschutz und Entwicklungshilfe definieren.

Der G20-Gipfel wird aber wohl einen anderen Charakter bekommen - nicht nur, weil sich mit den USA über diese Themen aktuell kein Konsens erzielen lässt. Er findet vor dem Hintergrund einer sich rasant ändernden Weltordnung statt. "Wir wollen in einer unruhigen Welt auch durch die Arbeit der G20 Stabilität erzeugen" sagte Merkel am Wochenende in Mexiko. Merkel und ihre Gesprächspartner verband die Einsicht, dass sie alle ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen - das aber am besten gemeinsam.

Denn die beiden Staaten, die bislang die Achse der transatlantischen Beziehungen waren, die USA und Großbritannien, ziehen sich auf sich selbst zurück und setzen auf Isolationismus. China wittert derweil die Chance, ökonomisch und machtstrategisch das Vakuum zu füllen, das die Vereinigten Staaten hinterlassen. Die eskalierende Konfrontation zwischen sunnitischen und schiitischen Machthabern im Nahen und Mittleren Osten, die sich vor allem in der Erzfeindschaft zwischen Saudi Arabien und dem Iran ausdrückt, demonstriert, dass die Europäer kein bisschen in der Lage sind, die ordnende Kraft zu ersetzen, die Amerika derzeit nicht mehr ist. Denn militärisch ist die EU ein Zwerg gegen die einstige Supermacht.

Mit Trump dürfte ein gekränkter US-Präsident nach Hamburg anreisen. Beim G7-Gipfel in Italien haben ihm die anderen im exklusiven über gemeinsame Werte verbundenen Club der Industriestaaten die kalte Schulter gezeigt. Deutlich ließen sie ihn spüren, dass er mit seinem Politikansatz "America first" nicht zu ihnen gehört. Merkel setzte bei der berühmt gewordenen Wahlkapfveranstaltung im bayerischen Trudering nach und sagte, die Europäer müssten ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Bezogen auf die USA, ohne diese direkt zu erwähnen, erklärte sie die Zeiten, in denen man sich auf andere völlig habe verlassen können, seien "ein Stück vorbei". All dies sagte sie in nur einem ihrer typischen verschachtelten Merkel-Sätze und löste damit eine weltweite Debatte über das darniederliegende transatlantische Verhältnis aus.

Mexiko wendet sich Europa zu

Die Präsidenten von Mexiko und Argentinien, die sich beide sichtlich über den Besuch der Deutschen freuten, ergriffen die Gelegenheit beim Schopf und boten offensiv mehr Kooperation mit Europa an. Die Schwellenländer sind auf der Suche nach neuer Orientierung. Insbesondere für die Mexikaner, die von Trump so heftig verbal attackiert wurden und denen immer noch der Mauerbau der Amerikaner droht, spüren den Druck, sich in ihren internationalen Beziehungen neu aufzustellen. Aktuell gehen 80 Prozent ihrer Exporte in die USA. Kulturell sind ihnen die Europäer näher als die Asiaten. Argentinien und Mexiko wollen noch in diesem Jahr Freihandelsabkommen mit Europa abschließen. Doch wenn Europa sich nicht als fähig erweisen sollte, Stärke und Geschlossenheit zu zeigen, könnten solche Länder sich doch am Ende China zuwenden.

Merkel lehnt die Rolle als Weltenretterin ab

Die Kanzlerin fand sich in Lateinamerika in der schwierigen Situation wieder, dass sie Europa offensiv als Partner anbot, ohne sich in die Rolle drängen lassen zu wollen, als Führerin der freien Welt aufzutreten. Der G20-Gipfel, den Deutschland unter das Motto "Eine vernetzte Welt gestalten" gestellt hat, wird für Merkel ein ähnlicher Balanceakt. Als Gastgeberin kann sie die ihr von vielen Seiten zugeschriebene Führungsrolle übernehmen. Als Weltenretterin aber kann und will sie insbesondere mit Blick auf den deutschen Wahlkampf nicht auftreten. Vielmehr muss sie den Eindruck vermitteln, dass sie jene Anliegen vertritt, die Deutschland nutzen. Das Abschlusskommuniquee wird vermutlich nicht sehr glanzvoll ausfallen können. Beim Klimaschutz und Freihandel droht, dass - wenn überhaupt - nur wenige dürre Worte aufgenommen werden. Ansonsten würde offensichtlich, dass es in diesen Fragen eher Rück- als Fortschritt gibt.

Eine Konfrontation mit Trump wie beim G7-Gipfel wird Merkel voraussichtlich aber vermeiden. Die G20 ist eine reine Zweckgemeinschaft. Die Staats- und Regierungschefs sind zu unterschiedlich, als dass sich 19 gegen einen verbünden könnten.

Kann der Kampf gegen den IS vereinen?

Zum Erfolg wenden kann Merkel den G20-Gipfel, wenn sie tatsächlich ein Signal der Stabilität hinbekommt. Dafür könnten sich alle hinter dem Ziel versammeln, mit verstärkter Anstrengung gegen den IS zu kämpfen. Dies müsste mit dem Bekenntnis verbunden sein, dass dazu jeder seinen Beitrag leistet. Bei den Europäern sind das höhere Investitionen in die Verteidigung sowie eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik. Die Vertreter aus dem Nahen und Mittleren Osten müssen für einen erfolgreichen Kampf gegen den IS ihre jüngst eskalierten Konflikte dringend eindämmen.

(qua)
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