Parlamentswahl in der Türkei Erdogans Strategie geht voll auf

Ankara · Wieder waren die Türken dazu aufgerufen, ihre Abgeordneten zu wählen. Dabei gelang es der islamisch-konservativen AKP, die im Juni verlorene absolute Mehrheit zurückzuerobern - entgegen allen Erwartungen. Ein Triumph für den umstrittenen Präsidenten Erdogan.

 Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan grüßt nach seiner Stimmabgabe in Istanbul seine Anhänger.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan grüßt nach seiner Stimmabgabe in Istanbul seine Anhänger.

Foto: dpa, tb bjw

Jubel und Feuerwerke bei den Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan - völlige Fassungslosigkeit bei der Opposition: Erdogans Regierungspartei AKP hat die vorgezogene Neuwahl in der Türkei klar gewonnen. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sprach von einem "Sieg der Nation".

Laut inoffiziellen Ergebnissen kam die AKP auf knapp 50 Prozent der Stimmen und wird erneut ohne Koalitionspartner regieren können. Damit legte die Partei im Vergleich zur letzten Wahl im Juni enorm zu - zulasten der Nationalistenpartei MHP und der Kurdenpartei HDP. Im kurdischen Südostanatolien brachen am Abend gewalttätige Proteste aus.

Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt die AKP im 550 Mandate umfassenden Parlament auf 316 Sitze. Damit ist sie nur knapp von der Dreifünftel-Mehrheit von 330 Mandaten entfernt, mit der sie über eine Volksabstimmung die Verfassung ändern und so Erdogans Traum von der Einführung eines Präsidialsystems erfüllen könnte. Die türkischen Wähler seien nun einmal zu 60 bis 65 Prozent konservativ eingestellt, sagte der Erdogan-kritische Historiker Ahmet Insel.

Bei der Neuwahl ging die Strategie von Erdogan, der als nominell parteiloser Präsident die Linien in der AKP und in der Regierung bestimmt, voll auf: Nach der gescheiterten Koalitionsbildung im Anschluss an die Wahl vom Juni empfahl Erdogan den Wählern die Regierungspartei als Garant der Stabilität. Die säkularistische Oppositionspartei CHP, nach der AKP die stärkste Kraft im Parlament, kam auf rund 25 Prozent. Für die nationalistische MHP wurden zwölf Prozent erwartet, die Kurdenpartei HDP schaffte mit 10,6 Prozent knapp den Wiedereinzug ins Parlament.

Für die AKP-Gegner wurde der Wahlabend damit zum Alptraum: Auch nach 13 Jahren an der Macht ist die AKP nicht zu schlagen. "Dieses Land hat ein Oppositions-Problem", sagte der Journalist Rahim Er. Ähnlich sieht es Faik Tunay, ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter der CHP: "Wir müssen uns fragen, warum die Oppositionsparteien das nicht schaffen", sagte er.

Im Juni hatte die AKP erstmals die absolute Mehrheit im Parlament verloren. Erdogan richtete die Partei danach neu aus und begann besonders in der Kurdenpolitik einen neuen harten Kurs. Ende Juli begannen neue Gefechte zwischen den türkischen Sicherheitskräften und den PKK-Kurdenrebellen. Nach Überzeugung von Kritikern wie CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu hatte Erdogan dabei seine Hand im Spiel: Erdogan, der in den vergangenen Jahren durch Friedensverhandlungen mit der PKK rechtsgerichtete Wähler verprellt hatte, wolle die AKP für Nationalisten wieder attraktiver machen. Das zahlte sich am Sonntag aus: Viele MHP-Wähler seien zur AKP gewechselt, sagte der Journalist Nazif Okumus. Zudem gewann die AKP im Kurdengebiet offenbar die Stimmen von Kurden zurück, die im Juni noch für die HDP gestimmt hatten. Die neue Gewalt der PKK hat der HDP offenbar geschadet, wie erste Erkenntnisse über die Wählerwanderungen im Südosten des Landes nahelegten. Der neue "Krieg" der PKK habe der HDP Verluste eingebracht, sagte der Autor Akyol.

Türkische Polizei stürmt oppositionelle Fernsehsender
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Die Bildung der neuen Regierung dürfte nun schnell vonstattengehen. Erdogan dürfte weiter die Zügel der Regierungspolitik in der Hand halten. Gegner befürchten, dass sich der Druck auf Andersdenkende und auf die regierungskritischen Medien weiter erhöhen wird. Auch innerhalb der AKP werden sich nun die Gewichte verschieben. Anders als noch im Juni, als Erdogan den Wahlkampf der AKP beherrschte, stand diesmal Ministerpräsident Ahmet Davutoglu weit mehr im Mittelpunkt. Im Unterschied zum Hardliner Erdogan gibt sich Davutoglu häufig versöhnlich, was bei den Wählern offenbar ankommt. Als Konsequenz könnte Davutoglu nun selbstbewusster gegenüber Erdogan auftreten; bisher hatte sich der Premier dem Präsidenten stets beugen müssen.

Innerhalb der Opposition könnte es auch Neuerungen geben. Insbesondere bei der MHP wird sich die Frage nach dem Amtsverbleib von Parteichef Devlet Bahceli stellen. Er hatte nach der Juni-Wahl eine Koalition mit der AKP abgelehnt und sich auch einer Teilnahme an einer Übergangsregierung verweigert. Offenbar kam dieser Neinsager-Kurs bei den Wählern nicht an.

(lsa/RP)
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