Ägyptische Menschenrechtler schlagen Alarm "Unser Justizsystem wird zerschlagen"

Kairo · "Als Richter kannst du in Ägypten derzeit nur arbeiten, wenn du deine Augen vor der Folter verschließt." Negad el-Borai und 18 Menschenrechtsorganisationen in Ägypten schlagen Alarm - darunter so namhafte Institute wie das "Hisham Mubarak Law Center", das Zentrum für Frauenrechte und das "Cairo Institute for Human Rights Studies".

Letzteres hatte als erstes und lange Zeit einziges das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi kritisiert. Bei der gewaltsamen Auflösung der Protestlager im August 2013 sind fast 1000 Menschen ums Leben gekommen. Das Institut für Menschenrechtsstudien musste daraufhin sein Büro in der ägyptischen Hauptstadt schließen, arbeitet jetzt von Tunesien aus und prangert weiterhin Menschenrechtsverstöße in Ägypten an, die in letzter Zeit ungekannte Ausmaße annahmen.

In den vergangenen 18 Monaten dokumentierte die Kairoer Anwaltskanzlei "United Group", der Negad el-Borai angehört, 465 Fälle von Folter in Haftanstalten und brachte sie zur Anzeige. Doch erst als zwei Richter sich der Sache annehmen wollten, schritt die Staatsmacht ein. Dies nicht etwa, um die Folterungen strafrechtlich zu untersuchen, sondern die Richter zu diskreditieren. Sie hätten mit einer illegalen Organisation zusammengearbeitet, hieß es.

Rechtsanwalt el-Borai musste zum Verhör mit dem Staatsanwalt. "United Group”, eine seit 74 Jahren bestehende zivilgesellschaftliche Organisation von Anwälten, hat sich auf vielfältige Weise einen Namen gemacht. In Zusammenarbeit mit Richtern an unterschiedlichen ägyptischen Gerichtshöfen wurde über Jahre hin versucht, die juristische Situation zu verbessern und die Wahrung der Menschrechte durchzusetzen.

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In Artikel 93 der ägyptischen Verfassung ist die Bindung an ratifizierte internationale Menschenrechtsabkommen festgeschrieben. Jetzt heißt es, United Group sei eine Bedrohung für die Sicherheit des Landes.

"Das eigentliche Verbrechen aber ist die derzeitige Zerschlagung unseres Justizsystems", heißt es in dem Aufruf der 18 Menschenrechtsorganisationen. Es könne nicht sein, dass das Engagement eines Richters für öffentliche Belange strafbar sei, besonders wenn es sich im Rahmen der Verfassung hält. Andererseits gäbe es aber eine unausgesprochene Übereinkunft, Massenverurteilungen mit Todesstrafe oder lebenslänglicher Haft widerspruchslos hinzunehmen, wie gerade die Prozesse gegen die Muslimbrüder und Mitglieder der Revolutionsbewegung zeigen.

Auch Ex-Präsident Mohammed Mursi wurde zum Tode verurteilt. Ohne professionelle Distanz würden Richter ihre eigene Meinung im Gerichtssaal oder in den Medien kundtun. Die Richtersprüche fielen entsprechend aus. Dies sei nur möglich mit der Unterstützung des Regimes.

(RP)
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