Düsseldorf/Berlin Armutsrisiko in NRW steigt stark

Düsseldorf/Berlin · Jeder sechste Einwohner an Rhein und Ruhr gilt laut Statistischem Bundesamt als armutsgefährdet. Der Sozialverband VdK fordert die Landesregierung auf, mehr in Bildung zu investieren.

Für viele Menschen in Deutschland wächst die Gefahr, in die Armut abzugleiten. In den vergangenen zehn Jahren ist in zahlreichen Bundesländern die Quote der Armutsgefährdung zum Teil deutlich gestiegen. Dies geht aus dem neuen Sozialbericht des Statistischen Bundesamtes hervor.

Der stärkste Anstieg ist demnach in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen: Von 2005 bis 2015 stieg hier die Quote um 3,1 Prozentpunkte auf 17,5 Prozent. Das bedeutet, dass fast jeder sechste Einwohner in NRW armutsgefährdet ist. Allerdings liegt Bremen mit einer Quote von 24,8 Prozent im bundesweiten Vergleich an der Spitze der risikoreichen Länder, gefolgt von Berlin (22,4 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (21,7) und Sachsen-Anhalt (20,1). Immerhin ist in den neuen Bundesländern (außer Berlin) die Quote rückläufig.

Mit einer Quote von 11,6 und 11,8 Prozent sind Bayern und Baden-Württemberg bundesweit die Musterknaben. Dort ist lediglich jeder neunte Einwohner von Armut bedroht. Hessen liegt mit 14,4 Prozent auf Platz drei.

Basis der Berechnung ist das mittlere Einkommen in der Bundesrepublik. Wer davon weniger als 60 Prozent hat, gilt als armutsgefährdet; bei 50 Prozent wird er als arm eingestuft. Für Nordrhein-Westfalen bedeutet dies: Ein Ein-Personen-Haushalt mit einem monatlichen Einkommen von 918 Euro netto gilt als armutsgefährdet. Für einen Vier-Personen-Haushalt mit zwei Kindern unter 14 Jahren (die statistisch anders bewertet werden als Erwachsene) liegt die Marke bei 1929 Euro. Wer darunter liegt, gilt als arm. In NRW betrifft das rund 2,8 Millionen Personen.

Die neue Statistik bestätige eine Entwicklung, die seit vielen Jahren bestehe "und die wir gerade erst im NRW-Sozialbericht 2016 wieder aufgezeigt haben: Unsere Gesellschaft driftet weiter auseinander", sagte NRW-Sozialminister Rainer Schmeltzer (SPD) unserer Redaktion. Seit 2010 sei die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in NRW zwar um über 650.000 gestiegen. Doch trotz der guten Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung drohten sich Armut und Ausgrenzung zu verfestigen. Vor allem Alleinerziehende, Migranten, Geringqualifizierte sowie Kinder und Jugendliche seien betroffen.

Dies gilt insbesondere für das Ruhrgebiet, wo fast jeder Fünfte armutsgefährdet ist. Für den Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge (Universität Köln) ist das ein Zeichen dafür, dass dort der Strukturwandel nicht richtig funktioniert hat: "Es ist offenbar nicht gelungen, den Menschen Arbeitsplätze zu vermitteln, mit denen sie ihre Familie ernähren können." Zudem habe Wachstum immer Gewinner und Verlierer: Niedrige Löhne bedeuteten häufig höhere Gewinne. "Die Wirtschaft kann boomen, ohne dass es allen gutgeht."

Der Sozialverband VdK fordert mehr Anstrengungen von der Politik: "Das fängt mit der Bildungsgerechtigkeit im Kindesalter an und reicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung bis hin zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen", sagte VdK-Landeschef Horst Vöge.

Der frühere NRW-Arbeitsminister und Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, sagte: "Die hohe Armut liegt eindeutig in der hohen Arbeitslosigkeit begründet. Wenn die Leute keinen Job haben, sind sie arm." Das große Problem sei, dass NRW als einziges Bundesland kein Wirtschaftswachstum habe.

(RP)
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