Berlin Angriffe auf deutsch-türkische Abgeordnete

Berlin · Die türkischstämmigen Volksvertreter benötigen nach Verabschiedung der Armenien-Resolution zum Teil Polizeischutz.

Die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestags hat eine beispiellose Hetze von Türken in und außerhalb Deutschlands gegen türkischstämmige Bundestagsabgeordnete ausgelöst. Die Resolution war in der vergangenen Woche am 2. Juni verabschiedet worden. Die Beschimpfungen, teils in Fäkal-Sprache und teils auf dem Niveau justiziabler Beleidigungen, halten an. Auch Morddrohungen erreichen die Abgeordneten.

Im Mittelpunkt der Kritik und der Drohungen steht Grünen-Chef Cem Özdemir, der die Resolution mitinitiiert und vorangetrieben hat. Die Berliner Polizei musste die Präsenz vor Özdemirs Wohnung verstärken. Zudem stellt das Bundeskriminalamt dem Grünen-Chef bei einzelnen öffentlichen Terminen Personenschützer an die Seite. Özdemirs Büro habe derzeit alle Hände voll zu tun, Drohbriefe im Netz zu prüfen und besondere Fälle an das Bundeskriminalamt weiterzugeben, hieß es von den Grünen.

Den Grünen-Chef hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in den vergangenen Tagen massiv beschimpft als "Besserwisser", als "arrogant" und als "charakterlos". Es sei sowieso bekannt, wessen Sprachrohr Özdemir sei, wurde Erdogan zudem von einer türkischen Nachrichtenagentur zitiert. "Von der separatistischen Terrororganisation in diesem Land sind Sie die Verlängerung in Deutschland", schimpfte Erdogan. Diese Angriffe, die türkische Nationalisten auch in Deutschland zu weiteren Hass-Mails gegen die elf türkischstämmigen Abgeordneten im Bundestag veranlasst haben dürften, führten gestern zu der scharfen Reaktion des Bundestagspräsidenten. Norbert Lammert hatte den türkischen Staatspräsidenten für seine Äußerungen scharf kritisiert: "Die Verdächtigung von Mitgliedern dieses Parlaments als Sprachrohr von Terroristen weise ich in aller Form zurück", sagte Lammert im Namen aller Fraktionen gestern unter großem Applaus im Bundestag.

Die betroffenen Abgeordneten wollen nicht klein beigeben: "Ich bekomme über Facebook viele Hass-Mails, die beschämen mich sehr. Es gibt auch Drohungen, aber es gibt auch viel Solidarität - auch von denen, die die Resolution ablehnen", sagte die Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion, Cemile Giousouf (CDU), unserer Redaktion. "Wir müssen zusammenhalten und zeigen, dass wir alle überparteilich nicht erpressbar sind", forderte sie. Sie erklärte zudem, sie lasse sich nicht bedrohen oder einschüchtern. Allen türkischstämmigen Abgeordneten war zusätzlicher Polizeischutz angeboten worden. Nicht alle nutzen ihn. Ähnlich äußerte sich die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen: "Ich lasse mich von den Drohungen nicht einschüchtern." Sie macht für die Eskalation Bundeskanzlerin Angela Merkel verantwortlich, der sie vorwirft, die "faschistischen Drohungen Erdogans" nicht klar zurückgewiesen zu haben.

Nach einer Woche Dauerfeuer zeigen sich einige der betroffenen Bundestagsabgeordneten eher defensiv, sie blockieren ihre Facebook-Accounts und reagieren nicht mehr öffentlich auf die Anwürfe gegen sie. Die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz hatte zu Beginn der Woche noch erklärt, die Angriffe im Internet seien "emotional extrem belastend". Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, die auf ihrer Facebook-Seite als "Vaterlandsverräterin" und "Olle" beschimpft wurde, hatte sich schockiert gezeigt und Solidarität des Parlaments eingefordert. Dem kam Lammert gestern nach.

Die Drohungen und Beschimpfungen richten sich gegen alle türkischstämmigen Abgeordneten, auch gegen jene, die der Abstimmung über die Resolution ferngeblieben waren, wie den Grünen Özcan Mutlu. Insbesondere für die Politiker von SPD und Grünen hat die Resolution auch eine machtpolitische Dimension.

Üblicherweise sind SPD und Grüne im Migranten-Milieu gut verankert und erzielen bei Wahlen vielfach Zustimmung. Auf Facebook bereuten die Kritiker der Resolution nun scharenweise, SPD oder Grüne gewählt zu haben, und kündigten an, dies nie wieder zu tun. Teils bekannten sie sich sogar zur AfD.

Damit verschärfen sich die Auseinandersetzungen, die es unter den Deutschtürken gibt, noch weiter. Sorgen bereitet der Regierung ohnehin, dass die verschärfte Gewalt zwischen Türken und Kurden in der Türkei auch wieder auf deutschen Straßen ausgetragen wird. In Regierungskreisen geht man davon aus, dass sich die gewaltsamen Konflikte fortsetzen werden. Zuletzt kam es Mitte April in Köln zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken, die dort bislang friedlich zusammengelebt hatten. Im Herbst hatte es bereits Zusammenstöße von Kurden und Türken in Berlin und in Frankfurt am Main gegeben.

(jd/mar/qua)
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