Ankara/Moskau

Ankara/Moskau · Im Syrien-Konflikt steht möglicherweise eine Konfrontation zwischen dem Nato-Land Türkei und Russland bevor. Türkische Kampfflugzeuge schossen gestern an der syrischen Grenze einen russischen Militärjet ab. Über das Schicksal der beiden Piloten gibt es unterschiedliche Angaben: Nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur DHP sind sie noch am Leben; sie befänden sich in der Hand von Rebellen. Der russische Generalstab teilte am Abend mit, einer der Piloten sei durch Schüsse am Boden getötet worden. Andere Quellen sprachen davon, beide Piloten seien tot.

Die türkischen Streitkräfte teilten zunächst mit, ein Flugzeug unbekannter Herkunft habe den türkischen Luftraum verletzt und innerhalb von fünf Minuten zehn Warnungen ignoriert. Zwei türkische F-16-Kampfflugzeuge hätten den Jet vom Typ Suchoi Su-24 den Einsatzregeln entsprechend in der Grenzregion Hatay attackiert. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan unterstrich das Recht seines Landes zur Verteidigung seiner Grenzen. Der Staatschef sagte in Ankara, zwei russische Flugzeuge hätten türkischen Luftraum verletzt. Davon sei eines abgeschossen worden.

Türkische Fernsehsender zeigten Aufnahmen der brennenden Maschine. Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu veröffentlichte eine Radaraufnahme der Armee, die nach türkischer Darstellung die Grenzverletzung klar bewies. Einige Kommentatoren merkten an, die Radar-Karte passe nicht zu der türkischen Darstellung, wonach der russische Jet fünf Minuten lang gewarnt wurde: Laut der Karte wäre der Jet nur wenige Sekunden über türkischem Territorium gewesen.

Am Abend sprach die Türkei von einem Zeitraum von 17 Sekunden. Beide Maschinen hätten Warnungen missachtet; eines der Flugzeuge sei dann abgedreht. Das andere sei von türkischen F-16-Kampfjets abgeschossen worden und auf der syrischen Seite der Grenze abgestürzt.

"Unser Flugzeug wurde über syrischem Gebiet von einer türkischen Rakete abgeschossen", sagte der russische Präsident Wladimir Putin. Er kritisierte die türkische Regierung als "Helfershelfer von Terroristen". Die Attacke sei ein "Stoß in den Rücken", sagte er im Staatsfernsehen. "Wir werden es nicht dulden, dass solche Verbrechen wie das heutige begangen werden", warnte Putin später in der Schwarzmeerstadt Sotschi.

Wegen des Zwischenfalls sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow seinen Besuch heute in Istanbul ab. Bei der Suche nach der Mannschaft des Kampfjets wurde ein russischer Hubschrauber offenbar von syrischen Rebellen abgeschossen; ein Soldat starb.

Das russische Verteidigungsministerium erklärte, der Jet vom Typ Su-24 sei im syrischen Luftraum gewesen und sei auch nicht von türkischen Kampfflugzeugen abgeschossen worden, sondern von einer Boden-Luft-Waffe. Erst in den vergangenen Tagen hatte Ankara die russische Regierung wegen fortgesetzter Angriffe auf Siedlungsgebiete der Turkmenen unmittelbar an der türkischen Grenze gewarnt.

Die Regierung in Ankara wandte sich an die Nato und die Vereinten Nationen. Die Bündnis-Staaten sicherten dem Partner Türkei ihre Solidarität zu. Gleichzeitig warnten sie allerdings vor einer weiteren Zuspitzung der Lage. "Ich rufe zu Ruhe und zu Deeskalation auf", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einer Sondersitzung des Nato-Rates in Brüssel. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) kritisierte das Vorgehen Ankaras scharf. "Erst mal zeigt der Zwischenfall, dass wir einen Spieler dabei haben, der nach Aussage von verschiedenen Teilen der Region unkalkulierbar ist: Das ist die Türkei und damit nicht die Russen", sagte er bei einer Politikkonferenz der Deutschen Presse-Agentur.

(RP)
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