Kolumne Gesellschaftskunde Angriff auf die Unbeschwertheit

Viele Menschen werden heute mit einem mulmigen Gefühl zu Konzerten oder Fußballspielen gehen. Das eigentliche Ziel von Terror ist Angst. Dagegen hilft alles, was Vertrauen schafft - auch die kleinen Begegnungen des Alltags.

Es ist geschehen. Ob wir wollen oder nicht: Die Terroristen haben etwas getroffen, das kostbar ist und doch oft unbemerkt: unsere Unbeschwertheit, eine Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit im Leben, die der Mensch erst wirklich spürt, wenn sie beschädigt ist.

Unbeschwertheit ist die bescheidene, kleine Schwester der Freiheit. Sie bewirkt, dass wir samstags zum Fußball gehen und nur darüber nachdenken, ob es regnen wird oder nicht, ob wir vorher eine Bratwurst essen oder hinterher. Sie bewirkt auch, dass wir gerne in die Stadt gehen, dass es Vergnügen bereitet, in diesen öffentlichen Raum zu spazieren, andere Menschen zu beobachten, einen Kaffee zu trinken und das Gefühl zu haben, dass es guttut "unter Menschen" zu sein. Ganz unverbindlich. Einfach nur, um zu spüren, wo man lebt, wo man hingehört, wer die anderen sind, die wir Gesellschaft nennen. Urbanes Lebensgefühl nennt man das. Flanieren kann der Seele genauso guttun wie ein Spaziergang durch den Wald.

Viele Menschen in Paris haben nach den Anschlägen den Mut gehabt, gleich wieder in die Öffentlichkeit zu treten, Blumen niederzulegen, anderen zu begegnen, die sie nicht kennen - und trotzdem nicht fürchten. Das waren wichtige Momente der Selbstbehauptung eines freiheitlichen Lebensstils. Und es war nicht der massive Einsatz von Sicherheitskräften, der sie bewegt hat, sondern ihre innere Haltung. Doch natürlich war die Unbeschwertheit dahin. Und wenn heute Fans zum Fußball in die Stadien aufbrechen, ist da vielleicht auch dieses "komische Gefühl", eine Beklemmung, die auftritt, wenn die Unbeschwertheit angegriffen ist.

Doch sie lässt sich zurückgewinnen - durch alles, was Vertrauen stärkt. Zum Beispiel durch die Begegnungen des Alltags: das freundliche Wort auf der Straße, das Quätschchen auf dem Markt, das Geplänkel in der Kneipe, dieses unbeabsichtigte und doch so vertrauensstiftende Miteinander, für das die Rheinländer so berühmt sind.

Es hilft nichts, die Verunsicherung, die sich durch den Terror von Paris über ganz Europa gelegt hat, zu verdrängen. Und wer heute keine Lust hat, zum Fußball zu gehen, muss sich dafür nicht rechtfertigen. Unbeschwertheit lässt sich nicht erzwingen, sie kann sich nur langsam wieder einstellen. Als Zeichen der Heilung und des Vertrauens in das Miteinander. Wahrscheinlich sind nun Zeiten angebrochen, in denen dieses Vertrauen immer wieder auf die Probe gestellt werden wird. Unsere Unbeschwertheit ist verletzlicher geworden - und kostbarer.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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