Analyse Amerika ist überall

Gastbeitrag Der hochmoralische Barack Obama ist gescheitert. Jetzt setzen viele US-Bürger auf den amoralischen Donald Trump. Wichtige Akteure, die zur Reflexion beitragen könnten, fallen aus, auch viele Medien. Aber Europa hat keinen Grund zur Überheblichkeit.

Ich erlebe gerade den Nordwesten Amerikas. Donald Trump ist die Einnordung der öffentlichen Wahrnehmung auf seine Person (die Frisur, das Vokabular, den Umgangston) gelungen. Die Ablenkung von den eigentlichen Fragen und Problemen ist erkennbar. Gewiss sind Sorgenfalten erlaubt, wenn sich die Atom- und Führungsmacht des Westens einem auszuliefern scheint, der fröhlich durch die Porzellanläden der nationalen und internationalen Politik "trumpelt". Gewiss wird nach der Wahl nichts so heiß gegessen wie vorher gekocht. Interessant und relevant wäre aber die Frage, was so viele erwachsene Amerikaner dazu bringt, die Entgleisungen eines narzisstischen Silberrückens für den Weg aus der Sinn- und Identitätskrise ihres Landes zu halten.

Man muss Amerika nicht lieben, aber lange durfte ich staunen, wie oft sich am Ende gesunder Pragmatismus durchsetzte. Selten begegnete man Parteigängern, die Linientreue über Wirklichkeitssinn stellten. Es gab auf Lösungen erpichte Politik. In deren Windschatten hatte sich das europäische Klima beruhigt. Parteipolitischer Zirkus bespielte nicht die Hauptbühne. Er saß allenfalls im Souffleurkasten.

Irgendwann wandelte sich der Ton. Es verbreitete sich der "Sprech" politischer Korrektheit. Der wusste genau, was man wann, wo, wie und ob überhaupt sagen durfte. Plötzlich gab es eine Inbrunst, Prinzipientreue über konkrete Vernunft und Glaubenssätze über Sachverstand zu stellen. Medien machten gut gemeint mit. Sie sendeten, sprachen und schrieben über die von vielen erlebte Realität hinweg.

Intentionaler Journalismus, der mehr überzeugen als informieren will, sich aber als neutral ausgibt, weckt Misstrauen. Man spürt die Absicht und ist verstimmt. Selbstbewusste Bürger wollen wissen, nicht glauben. Gewiss: "Die" Wahrheit gibt es nicht. Sie war zu oft Anmaßung ihrer Verkünder. Aber der Anspruch, ihr möglichst nahe zu kommen, erledigt sich damit keinesfalls.

Wenn unter den Seriösen niemand den Leuten bei der Suche nach neuen Verlässlichkeiten hilft, dann glauben sie demjenigen, der alles Mögliche ist, nur kein Leisetreter. Sie danken ihm, dass er ihr Unbehagen artikuliert. Er entlastet sie von der Mühsal zu differenzieren. Der professionelle, weltoffene Sender CNN wurde als Quotenliebling von Fox verdrängt. Fox gibt nicht vor, neutral zu sein.

Donald Trump gelingt es, bei seinen Anhängern als derjenige zu erscheinen, der sagt, wie's ist. Seine Fans wollen nicht merken, dass er wie ein Boulevardmime chargiert. Er zelebriert seine Pose. Der moralische Rigorismus Barack Obamas hat enttäuscht. Jetzt soll es der amoralische Rigorismus Trumps richten. Beides kennzeichnet eine zutiefst verunsicherte Gesellschaft.

Die hätte Gründe, über sich nachzudenken. Eine realitätsscheue Presselandschaft hat Glaubwürdigkeit verloren. Sie schafft es nur noch, vorhandene Überzeugungen zu puschen. Gescheiterte Interventionspolitik, ein parasitärer Finanzsektor, eine Aufteilung der Globalisierungsfolgen in Gewinner und Verlierer, ein Erstarken ethnischer und religiöser Konflikte, neue Ungleichzeitigkeiten von Land und Ballungsraum und krawallige politische Lagerkämpfe bedürften eigentlich aufklärerischer Reflexion. Zu allen Problemen nun auch noch die Schwäche wichtiger Medien.

Aber: Kein Grund, sich über "God's Own Country" zu erheben. Ein vergleichbares Stück wird im alten Europa aufgespielt.

(RP)
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