Als Sir Douglas den Weltkrieg gewinnen wollte

Vor 100 Jahren führte der britische Oberbefehlshaber an der Westfront seine Truppen in die Passchendaele-Schlacht in Flandern: 500.000 Tote und Verwundete kostete das Gemetzel im Schlamm.

Wenn eine industrialisierte Schlacht innerhalb von 100 Tagen acht Kilometer Geländegewinn einbringt, dabei das strategische Ziel verfehlt und eine halbe Million an toten, verwundeten und gefangenen Soldaten kostet: Dann handelt es sich um einen Führungsfehler, um entgleiste Kriegslogik oder um willentlich erzeugte "Dynamik der Dekonstruktion", also Massentötung, wie sie der Historiker Alan Kramer vom Trinity College, Dublin, in seinem sensationellen Einblick in die Tunnel der Vernichtung des Ersten Weltkriegs bezeichnet.

Vermutlich spielen bei der Passchendaele-Schlacht in Flandern, die vor 100 Jahren tobte und als die letzte dieser Dimension im Ersten Weltkrieg betrachtet wird, alle drei Faktoren eine Rolle. Feldmarschall Sir Douglas Haig, der Führer der britischen Offensive, galt als umstritten - David Lloyd George, seit Dezember 1916 Premierminister, verachtete ihn; noch in jüngerer Zeit wurde der Abriss seines Standbilds in Whitehall gefordert. Die deutschen Verteidiger, Erich Ludendorff, Erster Generalquartiermeister der Obersten Heeresleitung, Kronprinz Rupprecht von Bayern und Sixt von Armin als Befehlshaber der Vierten Armee vor Ort, kamen besser weg. Ihr Abwehrkampf war ingeniös.

Verlässt man das Podium der Kriegsphilosophie mit ihren moralischen Unwägbarkeiten, ergeben sich für die britische Flandern-Offensive drei Gründe: Frankreich zeigte Schwächen. Die blutigen Schlachten von Loretto (Arras, Nordfrankreich, Mai und Juni 1915), Verdun (Ostfrankreich, Februar bis Dezember 1916) und an der Aisne (Nordfrankreich, April und Mai 1917) raubten ihm den Mut. Meutereien brachen aus. Britische Entlastungsangriffe bei Lille (Neuve Chapelle, Frühjahr 1916) und in großem Stil an der Somme (Juli bis November 1916 unter Douglas Haig) mündeten ohne sichtliche Erfolge in schwersten Verlusten: Allein die Briten verloren 420.000 Mann. Man brauchte den Lethetrank des Sieges.

Den zweiten Grund lieferte die Kriegslage. Während sich die alliierten Offensiven an der Westfront festliefen, misslang der italienische Durchbruch zwischen Isonzo und den Dolomiten. In Russland wuchs sich die zunächst erfolgreiche Brussilow-Offensive an der Südwestfront (Juni bis September 1916) zu einem zweiten Verdun aus. Die davon angefachte Revolution im Februar 1917 mit dem Sturz des Zaren riss die Entente-Flanke im Osten auf. Rumänien geriet in deutsche Hand.

Der dritte Grund war für die Briten zwanghaft. Die Gegenblockade Englands durch deutsche U-Boot-Angriffe auf feindliche und neutrale Handelsfahrer rief die USA in den Krieg, doch wuchsen die Schiffsverluste auf 600.000 Bruttoregistertonnen pro Monat. Im April unterrichtete der Erste Lord der britischen Admiralität, John Jellicoe, das Kriegskabinett, nach seinen Berechnungen sei Großbritannien außerstande, den Krieg bis 1918 fortzusetzen. Er forderte die Einnahme der belgischen Küste mit den Häfen Ostende und Zeebrugge, von wo aus ein Drittel der deutschen U-Boot-Flotte operierte.

Der Oberkommandierende des britischen Expeditionskorps, Douglas Haig, sah im Durchbruch in die nordwestflandrische Tiefe bis zum Kanal, verbunden mit einer Landeoperation der Royal Navy südlich von Ostende, die Garantie des Sieges. Nach Einnahme der taktisch wertvollen Hügelkämme im Frontbogen um Ypern bis zur Linie Menen-Torhout im Osten und Torhout-Diksmuide im Norden würde der befreiende Vorstoß von vier Armeen - drei britische im Zentrum und eine französische im Küstengebiet mit 36 Divisionen - die Deutschen zwischen dem Fluss Ijzer und dem Hafen Zeebrugge ans Meer drängen und vernichten, so die Hoffnung. Die Landung von See würde den französischen Flügel stärken und die deutschen Reste zersplittern.

Generalstabsmäßig konnte es keinen besseren Plan geben, als das Drehkreuz in Westbelgien in die Hand zu bekommen, den Weg zum Hafen Antwerpen zu öffnen und nach Südwesten hinter die schwer befestigte deutsche Siegfriedstellung vorzustoßen. Doch seit den deutschen Durchbruchversuchen zu den französischen Kanalhäfen Dünkirchen, Calais, Boulogne im Spätherbst 1914 und Frühjahr 1915 war in Westflandern eine surrealistische Hindernislandschaft entstanden. Terrestrisch durch Höhenpositionen begünstigt, standen die Deutschen jetzt in der Defensive. Sechs gestaffelte Stellungen im Bogen um die verwüstete alte Tuch-Stadt Ypern blockierten den Durchlass. Um voranzukommen, mussten die Briten "mit offener Brust bergauf" kämpfen.

Haig rechnete sich Chancen aus. Er schwamm im Kriegsmaterial, die Artillerie ragte mit über 3000 Rohren überlegen heraus. Der Ansturm sah zwei Phasen vor: Um eine gegen Flankenbedrohung sichere Ausgangsposition zu gewinnen, mussten die deutschen Hügelstellungen südlich von Ypern abgeräumt werden. Sappeure hatten seit 1915 die deutsche Frontlinie zwischen Mesen (Messines) und Wijtschate untertunnelt, nun füllten 500 Tonnen Sprengstoff das Geäder. Am 7. Juni, kurz nach drei Uhr, explodierten 19 der 24 Minen gleichzeitig. Das bislang schwerste von Menschenhand geschaffene Erdbeben vernichtete die dritte bayerische Division (10.000 Mann) der Vierten kaiserlichen Armee. In kürzester Zeit war das gesprengte Gelände in der Hand der britischen Zweiten Armee unter Sir Herbert Plumer.

Dieser hätte den Durchbruch vertiefen können, doch bestand sein Vorgesetzter Douglas Haig darauf, den Angriff mit der nördlich positionierten Fünften Armee von Sir Hubert Gough auf voller Länge der begradigten Linie zu führen. Haig und Gough waren als Kavalleristen Anhänger der massiven Konzentration. Die mit dieser Kampftaktik verbundenen umständlichen Vorbereitungen ließen den Deutschen Zeit bis zum 31. Juli. Woche um Woche konnten sie sich von dem Minenschlag erholen - welch ein generöses Geschenk des Feindes. Als schließlich die britische Artillerie mit 4,2 Millionen Granaten den ersten Sturmangriff von acht Divisionen und zwei Panzerbrigaden anbahnte, öffnete der Himmel wie zur Revanche die Schleusen. Wider alle Wetterprognosen fiel in den folgenden Monaten in Flandern so viel Regen wie seit 1878 nicht mehr.

Das Gefechtsfeld verwandelte sich in eine Schlammlandschaft. Die Artillerie zerfetzte das sorgsam angelegte Drainagesystem. Infanteristen, Feldartillerie, britische Panzer - damals elefantöse Monster - arbeiteten sich wie durch ein aufgewühltes Wattenmeer. Auf Lattenrosten balancierten die Sturmbrigaden über die weichen Lippen wassergefüllter Granattrichter, Männer versanken in den Schlünden.

Sir Douglas startete mit ungedeckter Masse gegen die deutschen Stellungen, blieb hängen, gewann die strategische Tiefe nicht. Alle Pläne waren nasses Papier. Nach Gemetzeln im Juli und August stellte er die Sturmläufe ein, die Soldaten konnten nicht mehr, und ersetzte das Schlachtfeldmetronom Gough durch den taktisch beweglichen Plumer. Dieser begrenzte die Einsätze, konsolidierte kleine Vorstöße im abgründigen Gelände, ließ ablösen, nachrücken.

Dennoch, die Deutschen waren wie Wiesel, unterliefen die Artillerie, lancierten Gegenstöße intakter Eingreifdivisionen aus der rückliegenden, ruhigen Zone - solange die Reserve reichte. Aus Bunkerketten und flankierenden Riegeln zwischen den sechs deutschen Linien ergossen sich Katarakte von Maschinengewehr- und Granatwerferfeuer. Wer niedergehalten wurde und 30 Stunden im Wasser stand, hatte schwarze Beine. Beide Seite verschossen Gasgranaten, die Deutschen Gelbkreuz ("Yperit"), es greift Augen, Haut, Lungen an. Von Geschossen zerfetzter Stacheldraht war der Todfeind des watenden, kriechenden Soldaten. Der symptomatische rote Streifen der Vergiftung schlang sich blitzschnell ums Herz. Die Ablösung stockte, Nachschub fehlte; Essen, Wasser, Sanitäter blieben aus. Und es hörte nicht auf zu regnen.

245.000 britische, 215.000 deutsche Verluste (Tote, Verwundete, Gefangene) - Haig verlor die Schlacht. Nach 100 Tagen führte kein Weg über das Dorf Passchendaele hinaus, das der Offensive den verfluchten Namen gibt.

Premier Lloyd George, empört über das haltlose Blut, köpfte Haigs Stab, kam aber an den Marschall nicht heran. Erst in seinen Memoiren (1936) wagte er es, ihn zu verschmähen - ein später Ausdruck des schlechten Gewissens, meint sein Biograf John Grigg (2002), dass er Haigs Lauf nach Passchendaele nicht aufgehalten habe. Und in der Tat: Noch auf den eroberten Hügeln krümmten sich die Soldaten unter erbarmungslosem Feuer.

Aber auch die Vierte deutsche Armee unter General Sixt von Armin war am Ende. Es gab Tränen, keine Meuterei. Franky Bostyn, belgischer Militärhistoriker und Kurator des Passchendaele-Museums in Zonnebeke, schreibt: "Obwohl die Deutschen die Schlacht gewannen - ihre Logistik war gebrochen, sie verloren den Krieg in Flandern." Tatsächlich? 1918 brachten deutsche Verbände mit neuer Sturmtrupptaktik das gesamte Gelände innerhalb von zwei Tagen wieder unter Kontrolle. Doch nur für kurze Zeit - dann war ihr Elan gebrochen.

(RP)
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