Magdeburg AfD-Rechte greifen nach der Macht

Magdeburg · Ob auf dem Parteitag ein vollständiges Programm verabschiedet wird, ist fraglich - zu unterschiedlich sind die Auffassungen.

Es ist ein merkwürdiges Zwielicht an diesem Aprilwetter-Tag auf der Bahnstrecke Richtung Ostdeutschland. Hier und da ein Schauer und eine dunkle Wolkenwand, die von Weitem aufzieht. AfD-Wetter, könnte man sagen. Die Stimmung kurz vor dem heutigen Bundesparteitag in Stuttgart: durchwachsen. Bundessprecher Jörg Meuthen widerspricht dem von manchen geforderten harten Anti-Islam-Kurs und betont die Religionsfreiheit für alle. Die Bundesvorsitzende Frauke Petry spricht sogar von Rückzug, falls es zu einem "weiteren Rechtsruck" kommt.

Gegenwind dann aus verschiedenen Richtungen: 1425 Seiten Änderungsanträge wurden vorab allein zum 74-seitigen Leitantrag für das Parteiprogramm eingereicht, das an diesem Wochenende endlich festgezurrt und verabschiedet werden soll. Einige AfD-Verbände und Einzelpersonen fordern darin, in Moscheen nur auf Deutsch zu predigen, andere ein komplettes Bauverbot für Moscheen und die Abschaffung aller islamtheologischen Lehrstühle. Über sämtliche Punkte zu allen politischen Themen werden mehr als 2000 AfD-Mitglieder in der Messe Stuttgart diskutieren und abstimmen. Anders als bei anderen Parteitagen, bei denen die Zahl der Delegierten überschaubar ist, kann hier jeder dabei sein, der Parteimitglied ist und sich rechtzeitig angemeldet hat. Heute und morgen will die AfD in Stuttgart ihren Kurs neu justieren und zumindest Teile eines Grundsatzprogramms beschließen. Um ein vollständiges Parteiprogramm zu verabschieden, sind die Auffassungen zu unterschiedlich.

Einer vom rechten Flügel ist André Poggenburg, Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt. Innere Sicherheit ist ihm neben der Liberalisierung des Waffenrechts sehr wichtig. Und wenn die Polizei das allein nicht schaffe, müssten eben Bürgerwehren - natürlich unbewaffnet - einspringen, wenn junge Frauen in seiner Heimat von Flüchtlingen belästigt würden. Poggenburg sitzt in seiner Landesgeschäftsstelle in Magdeburg-Buckau, erste Etage rechts in einem Ärztehaus. Winziges AfD-Klingelschild. Der bestuhlte Raum hier, in dem er manchmal Vorträge hält, ist komplett wahlplakatiert: "Bürger schützen", "Asylchaos stoppen", "Kinder willkommen". Mindestens so viele Themen wie Plakate will die AfD auch in ihrem Programm abhandeln, also auch: Tier- und Umweltschutz, Innere Sicherheit, Soziales, Familie.

Was dem AfD-Landeschef, der im März in Sachsen-Anhalt mit über 30 Prozent direkt in den Landtag gewählt worden ist, aber wirklich wichtig ist: Patriotismus. Den will er wieder "salonfähig" machen. Denn Poggenburg hat Angst vor dem Verlust der deutschen Identität, das sagt er immer wieder auf Kundgebungen. Was heißt das? "Es muss möglich sein, die Deutschlandflagge zu schwenken oder die Nationalhymne zu singen, wann immer man möchte, nicht nur zur WM."

Man sehe ja den Angriff auf die deutschen Werte durch den Islam, am Beispiel Frauenverachtung, Tierschächtung, Beschneidung. "Alles, wofür wir Jahrzehnte gekämpft haben, wird für Multikulti auf dem Altar geopfert", findet Poggenburg. "Absolut absurde Vorwürfe", sagt der Düsseldorfer Islamwissenschaftler Michael Kiefer. Den einen Islam gebe es ohnehin nicht, der Islam sei sehr heterogen und keine Ideologie, sondern eine Religion. Und für die gelte die Religionsfreiheit.

Für Martin E. Renner, Sprecher des größten AfD-Landesverbands NRW, kommt da gleich ein großes Aber: Religionsfreiheit okay, aber Religionsausübung? Das sollte, wenn es nach ihm ginge, in einen rein privaten Raum, jedenfalls für Muslime. "Gewisse Schariabedingungen wie Beschneidung, Verschleierung oder Frauenherabwürdigung können grundgesetzwidrig sein", sagt Renner. Für ihn ist der Islam eine Ideologie, die mit Demokratie nicht vereinbar ist, weshalb er zu der Forderung kommt: "Wir wollen keine Schariagesellschaft in Deutschland." Dass der Islam eine Religion ist, die von vielen in Deutschland bereits modern gelebt wird, sieht er nicht. Der Islam sei im Kern totalitär und nicht integrierbar. Punkt.

Und weil Renner das Grundsätzliche im Programmentwurf der Bundeskommission fehlt, da der zu sehr an aktuellen Ereignissen hänge, hat er zusammen mit zwei Parteikollegen aus Berlin ein eigenes Grundsatzprogramm verfasst und vorab für den Parteitag eingereicht: Das "Renner-Manifest". Der 17-seitige Entwurf ist überschaubar. Signifikant ist vor allem der Punkt "Nation": "Die AfD vertritt einen modernen Nationalitätsbegriff", heißt es, die Zugehörigkeit könne über Staatsbürgerschaft erworben werden, das setze "ein klares persönliches Bekenntnis" voraus sowie die Bereitschaft zur weitgehenden Anpassung an die kulturellen Gewohnheiten. Oder wie Renner sagt: "Das Ende von Integration muss die Assimilation sein."

Über allem steht also, sowohl für die NRW-AfD unter Renner als auch für die ostdeutsche AfD Poggenburgs, der Schutz der nationalen Identität - was auch immer das genau heißen mag.

Wie Poggenburg hält auch Renner sich für einflussreich als Gründungsmitglied der Partei mit langjähriger Erfahrung als Unternehmensberater und Kirchenvorstand. Renner meint, dass sein Entwurf vom Großteil der NRW-AfD getragen wird, Poggenburg wird wohl für den Bundesantrag stimmen. Inwiefern das am Wochenende auch mit anderen Entwürfen und all den Änderungsanträgen vereinbar ist, wird sich zeigen.

(RP)
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