Gravitationswellen Das Universum hat einen eigenen Sound

Düsseldorf · Die Meldung von der Entdeckung der Gravitationswellen ist die vielleicht größte Entdeckung des Jahrzehnts und ein heißer Anwärter auf einen Nobelpreis, weil sie das Tor zu einer neuen Physik öffnet. Zum ersten Mal blicken wir auf den direkten Abdruck kosmischer Ereignisse in dem Gewebe der Raumzeit.

Seit einigen Wochen bereits kursierten die Gerüchte im Web. Das Ligo-Experiment soll Gravitationswellen nachgewiesen haben. Während sich die beteiligten Wissenschaftler in Schweigen hüllten, diskutierten andere bereits eifrig, ob es wirklich wahr sein könnte. Am Donnerstag nun trat David Reitze, der Direktor des Ligo-Experiments vor die Presse — mit den Worten: "Wir haben Gravitationswellen nachgewiesen. Wir haben es geschafft."

Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein ist die Schwerkraft das Ergebnis einer Verzerrung der Raumzeit, der Verknüpfung der drei Dimensionen des Raumes mit der Zeit. Stellt man sich diese Raumzeit wie ein gespanntes Tuch aus Gummi vor, dann drückt eine massive Kugel dieses Tuch ein, und es entsteht eine trichterförmige Eindellung. Und dieser Trichter, diese Verzerrung der Raumzeit, ist das, was wir als Schwerkraft erleben.

Kommen sich zwei Massen, also zwei solcher Trichter, nun nahe, beginnt das Tuch aus Gummi zu schwingen: Es entstehen Gravitationswellen, die sich fortsetzen — indem sie die Raumzeit abwechselnd dehnen und stauchen. Es ist zwar ein nur schwacher Effekt, der aber messbar sein sollte.

 Forscher haben erstmals Gravitationswellen nachgewiesen.

Forscher haben erstmals Gravitationswellen nachgewiesen.

Foto: dpa

Das war vor rund 100 Jahren die Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. Tatsächlich wurden diese Wellen aber trotz mehrerer Experimente nicht beobachtet — bis jetzt.

Ja, die erste Messung der Gravitationswellen ist der große Durchbruch - und noch viel mehr als das. Es ist nicht nur eine zusätzliche Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie, sondern öffnet unsere Augen für die wahren Vorgänge im Kosmos. Das Ligo-Experiment konnte die nun entdeckten Gravitationswellen zwei Schwarzen Löchern zuordnen, die umgerechnet die Masse von 29 und 36 Sonnen haben — und jeweils eine Ausdehnung von etwa 150 Kilometern.

Diese beiden Schwarzen Löchern haben sich mit etwa der halben Lichtgeschwindigkeit umkreist, kamen sich immer näher und verschmolzen dann — vor rund 1,3 Milliarden Jahren. In dem Moment aber wurde im Bruchteil einer Sekunde die Masse von drei Sonnen freigesetzt — in den Gravitationswellen, die sich in der Raumzeit ausbreiten.

Ligo steht für Laser Interferometer Gravitation Wave Observatory oder Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium. Das klingt kompliziert, das Experiment ist aber an sich simpel aufgebaut: Ein Laserstrahl wird aufgespalten und zu zwei Spiegeln in vier Kilometern Entfernung geschickt. Die Laufwege sind im rechten Winkel zueinander angeordnet. Dadurch werden die Dehnung und die Stauchung des Raumes durch die Gravitationswellen erfasst.

Der Spiegel am Ende der jeweiligen "Laserbahn" reflektiert den Strahl, der zurückkommt und dann zu einem Messinstrument umgeleitet wird. Kleinste Laufzeitunterschiede werden so erfasst und sind ein Beleg für die Gravitationswellen — wenn man alle Störungen durch die Erschütterung der Erde herausrechnet.

Das Experiment ist mittlerweile so empfindlich, dass es im Vergleich auf einer Strecke bis zum nächsten Stern Alpha Centauri in knapp vier Lichtjahren Entfernung den Unterschied von einer buchstäblichen Haaresbreite messen könnte. Das machen neue Instrumente möglich, die am 14. September 2015 "nur" in einem Testlauf die Gravitationswellen gemessen haben.

Weil es mittlerweile aber gleich zwei solcher Versuchsaufbauten in knapp 3000 Kilometer Entfernung gibt, konnte man auch umgehend die Daten vergleichen. Und tatsächlich: Im Abstand von nur sieben Millisekunden wurde das identische Signal an beiden Standorten gemessen. Der Nachweis für die Gravitationswellen war erbracht. Mehr noch: Die Daten decken sich sehr gut mit den Simulationen und Berechnungen für eine Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher mit 29 und 36 Sonnenmassen.

Ein besseres Verständnis für das Universum und für die Physik. Nachdem Galileo Galilei vor mehr als 400 Jahren seine ersten Beobachtungen mit einem Fernrohr gemacht hat, blickte die Menschheit mit immer besseren Geräten immer weiter ins All und entdeckte neue kosmische Wunder. Es folgten Radio-, Infrarot- und Röntgen-Teleskope.

Nun beginnt mit den Gravitationswellen-Detektoren eine neue Ära der Physik. Nicht nur Schwarze Löcher, sondern alle Vorgänge im Kosmos, bei denen große Massen involviert sind, lassen sich so unter die "Schwerkraft-Lupe" nehmen. Und schon jetzt werden nach Ligo noch weitere, neue Gravitationswellen-Detektoren gebaut — in Italien, Japan und wahrscheinlich auch in Indien. Und auch deutsche Wissenschaftler sind über das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik beteiligt.

Die Gravitationswellen werden nicht dabei helfen, "Zeitmaschinen zu bauen", wie der theoretische Physiker Kip Thorne bei der Vorstellung der Ergebnisse sagte. Aber sie werden dabei helfen zu klären, welche Masse Gravitonen haben. Die sollte es geben — als Teilchen, die die Schwerkraft vermitteln. So wie Photonen das Licht vermitteln und unter anderem in unseren Augen mit unseren Nervenzellen interagieren, wodurch wir etwas sehen.

Unklar ist aber, ob die Gravitonen masselos sind oder ob sie eine kleine Restmasse haben. Die Gravitationswellen-Detektoren könnten das Rätsel lösen: Wenn wir sehen, wie zwei beispielsweise massereiche Körper im Universum verschmelzen, können wir messen, ob wir gleichzeitig auch Gravitationswellen entdecken. Wenn ja, bewegen sich die Wellen so schnell wie das Licht durch die Raumzeit und die Gravitonen sind so masselos wie die Photonen.

Gibt es aber eine Verzögerung, lässt sich die Restmasse der Gravitonen bestimmen. Das klingt zwar akademisch, es hat aber weitreichende Folgen für die Physik und unser Verständnis für das Universum. Bislang ist es nicht gelungen, die Gravitation in die Quantenphysik einzubauen. In den Detektoren und ihren Ergebnissen könnte der Schlüssel dazu liegen.

Und noch bessere Messungen könnten uns etwas Neues, bislang kaum Vorstellbares über die Entstehung und die Struktur des Universums verraten. Sichtbar in den Daten und mit etwas technischen Einsatz sogar hörbar. Bei der Vorstellung der Ergebnisse am Donnerstag konnten die Gäste nicht nur die Daten und Diagramme sehen, sie konnten sogar hören, wie zwei Schwarze Löcher verschmelzen. Das Universum hat einen eigenen Sound, den wir nun zum ersten Mal hören.

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