Rolf Chini im Interview Der wundersame Blick ins All

Bochum · Der Astrophysiker Rolf Chini erforscht die Sterne. Er hat das bislang größte Bild des Weltalls aufgenommen. Gelungen ist ihm das von einer einsamen Anlage in der Atacama-Wüste in Chile aus - der nächste Ort ist 150 Kilometer entfernt. Wir haben mit Rolf Chini gesprochen.

 Im Omeganebel (M17), in dem sich viele neue Sterne bilden, gelang die Beobachtung.

Im Omeganebel (M17), in dem sich viele neue Sterne bilden, gelang die Beobachtung.

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Der Sternenhimmel ist faszinierend. Ein Mensch kann in einer sehr dunklen Nacht etwa 6000 Sterne sehen. Doch in Wirklichkeit sind es sehr viel mehr. Der Bochumer Astrophysiker Rolf Chini hat das bisher größte Bild des Weltalls aufgenommen. Es ist voller Überraschungen.

Sie haben das größte astronomische Bild des Weltalls erstellt. Wie muss man sich das Weltall vorstellen? Eher chaotisch oder eher regelmäßig?

Chini Eine Mischung daraus. Jeden Tag entstehen neue Sterne, jeden Tag sterben welche. In den Galaxien gibt es Wolken aus Gas und Staub, die kollabieren unter ihrer eigenen Schwerkraft. Da bilden sich neue Sterne, die leben ein paar Millionen bis Milliarden Jahre. Am Ende ihres Lebens explodieren die massereichen Sterne, schleudern ihre Materie ins Weltall. Unsere Sonne wird ihre äußeren Hüllen abstoßen, wird zum so genannten Weißen Zwerg werden. Im Grunde beginnt dann der Prozess von neuem - das ausgeschleuderte Material geht wieder ins interstellare Medium, vermischt sich mit Gas, daraus entstehen neue Sterne. Aber es gibt auch eine Klasse von Galaxien, die haben kein interstellares Gas mehr. Dort ist die Sternentstehung dann abgeschlossen.

Wie fotografiert man das Weltall? Und warum?

Chini Für dieses Projekt haben wir fünf Jahre gebraucht. Wir haben die gesamte Milchstraße, die am Südhimmel sichtbar ist, in 268 einzelne Bildfelder aufgeteilt. In so einem Feld sind Tausende Sterne, deren Helligkeit immer wieder gemessen wurde. Jede Nacht haben wir ein paar Felder gemessen, manche Felder wurden 270mal aufgenommen. Dabei haben wir entdeckt, wie stark sich das Licht der Sterne verändert. Die Suche nach solchen variablen Objekten war der Hauptgrund für die Durchmusterung.

Warum verändert sich die Helligkeit der Sterne?

Chini Es gibt verschiedene Ursachen, weshalb sie nicht so konstant leuchten wie unsere Sonne. Ältere Sterne beginnen zu pulsieren. Doch viel interessanter ist es, wenn Sterne entstehen. Junge Sterne sammeln Gas aus der Umgebung und wachsen dadurch. Jedes Mal, wenn sie sich eine Mahlzeit Gas einverleiben, leuchten sie auf.

Kommt das oft vor?

Chini Es gibt viel mehr variable Sterne in der Milchstraße, als man dachte. 85 Prozent aller variablen Sterne, die wir gefunden haben, waren bisher nicht als variabel bekannt.

Sie haben etwa 60.000 neue Objekte entdeckt. Um welche Sterne werden Sie sich als erstes kümmern?

Chini Es gibt Objekte, die nicht aus einem Stern bestehen, sondern aus einem Doppelsystem. Von der Erde wirkten sie bisher wie ein einziger Stern. Aber wir sehen anhand der Helligkeitsvariation, dass sich zwei Sterne gegenseitig periodisch überdecken. Und daraus können wir Schlüsse ziehen. Wir finden Perioden von wenigen Stunden. Stellen sie sich vor: Sterne, so groß wie unsere Sonne, umkreisen einander in wenigen Stunden. Der Merkur benötigt 88 Tage, bis er einmal unsere Sonne umrundet hat. Diese Sterne sind so dicht zusammen, dass sie über kurz oder lang miteinander verschmelzen müssen.

Das klingt sehr begeistert.

Chini Doppelsterne sind unser Lieblingsthema. Wir arbeiten an mehreren Fragen. Sie wissen ja, dass man nach der sogenannten dunklen Materie sucht. Im Weltall muss mehr Materie existieren als die Masse, die wir von den hellen Sternen kennen. Wir haben in den letzten Jahren entdeckt, dass sehr viele Sterne, von denen man dachte, das sind Einzelsterne, doppelt oder dreifach sind.

Dann könnte ein Teil von dem, was man als Masse nicht gefunden hat, eine Art Rechenfehler sein?

Chini Rechenfehler ist vielleicht zu hart gesagt. Man hatte die Objekte halt bisher noch nicht entdeckt, weil sie so dicht beisammen sind, dass man sie mit den größten Teleskopen nicht trennen kann.

Gab es noch mehr Überraschungen?

Chini Wir beschäftigen uns auch mit den sonnennahen Sterne, die nur 80 Lichtjahre entfernt sind. Das sind ungefähr 500 Objekte. Wir finden bei den meisten Sternen, wo man bisher meinte, es seien Einzelsterne, noch lichtschwache Begleiter. Man dachte bisher, zumindest bei der nahen Sonnenumgebung wissen wir alles genau: Aber das ist falsch.

Klingt nach viel Arbeit. Machen Sie das in Bochum oder in einem internationalen Netzwerk?

Chini Unser Milchstraßensurvey ist auch für andere Forscher zugänglich. Aber wir wollen viel in Bochum machen. Doch da kommen wir an einen wunden Punkt. Wir wurden bis Ende 2015 von der NRW-Akademie der Wissenschaften finanziert. Gerade suchen wir nach Mitteln, damit wir die Leute halten können.

Was zieht die Menschen zu Ihrem Teleskop in die Atacama-Wüste? Der nächste Ort ist 150 km entfernt.

Chini (lacht) Weil ich die da hinschicke. Im Ernst, das Sammeln der Daten für die Master- oder Doktorarbeit in der Physik ist eine große Motivation. Ein Doktorand ist vier Wochen dort, dann wird er abgelöst. Wenn man zu lange allein auf dem Berg ist, dreht man durch. Am Anfang ist es attraktiv, an den Teleskopen zu arbeiten und diesen Himmel zu sehen. Beim zweiten oder dritten Mal melden sich die Leute nicht mehr ganz so freiwillig.

Was wird die nächste Generation der Teleskope können?

Chini Das erleben wir gerade sehr nah. Europa baut ein Großteleskop mit 39 Metern Durchmesser, der bisherige Rekord liegt bei zehn Metern. Ich bin sehr stolz, dass es auf unserem Berg errichtet wird. Ein Beweis, dass unser Observatorium am besten Platz der Welt steht. Das Riesen-Teleskop kann in der Atmosphäre von extrasolaren Planeten nach Bio-Markern suchen. Freier Sauerstoff zum Beispiel. Es gibt ihn auf der Erde nur, weil er ständig von Pflanzen nachgeliefert wird. Wenn man bei einem dieser Planeten Sauerstoff nachweisen kann, muss es dort nach unserem Wissen Organismen geben. Dann wäre die letzte Bastion gefallen: Der Glaube, dass Leben sich nur auf der Erde entwickelt hat. Ob das intelligentes Leben ist, ist eine andere Frage.

Rechnen sie damit, dass man fremdes Leben finden wird?

Chini Ich bin überzeugt davon. In sechs Jahren soll das Teleskop laufen. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Glauben Sie, dass es auch Lebenssysteme gibt, die auf anderen chemischen Strukturen basieren?

Chini Natürlich. Aber wenn wir nicht wissen, wie dieses Leben funktioniert, ist es schwer, nach Biomarkern für dieses Leben zu suchen. Deswegen sucht die Astronomie nur nach irdischem Leben. Wenn es Siliziium-basiert wäre, wenn da oben Server rumlaufen, die werden wir zunächst nicht erkennen.

(rai)
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