Düsseldorf Untermieter in der Nase

Düsseldorf · Über die Rolle der vielen Mikro-Organismen in unserer Nase ist noch wenig bekannt. Wissenschaftler vermuten, dass sie einen schützenden Einfluss ausüben. Entscheidend dafür ist wohl die richtige Mischung.

Jeder Mensch ist anders, selbst die Nase ist einzigartig. Nicht nur die äußere Form, auch das Innenleben. Denn die Schleimhäute bilden einen natürlichen Tummelplatz für Mikro-Organismen, die als alltägliche Untermieter unsere Nasenhöhle bevölkern und fast immer harmlos sind. "Welche Typen von Bakterien dort leben, ist bei jeder Person verschieden, vergleichbar mit einem Fingerabdruck", erklärt Dietmar Pieper, Professor am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.

Seit fünf Jahren untersucht sein Team dieses spezielle Biotop und ordnet die Vielfalt der Bakterien. Manche Mikro-Organismen lassen sich bei jedem Menschen nachweisen. Doch ebenso häufig finden die Forscher einen bestimmten Bakterientyp nur bei einem Teil der Bevölkerung. Die Braunschweiger haben ihre Entdeckung deshalb nach einem Muster geordnet. "Wir können mindestens 13 verschiedene Untergruppen von Menschen mit vergleichsweiser ähnlicher Nasen-Flora unterscheiden", sagt Pieper. Manche Menschen wechseln im Laufe des Jahres zwischen verschiedenen Gruppen. Im Winter siedeln andere Bakterien auf ihren Schleimhäuten als im Sommer. Das liegt vermutlich an der trockenen Luft in den Innenräumen von Wohnungen und Büros, während im Sommer die Menschen sich häufiger draußen aufhalten.

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Beginn einer Infektion in der Nase liegt oder der Erfolg einer Therapie auch von der Mischung der Bakterien abhängt, die dort leben", erklärt Pieper, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Interaktionen und Prozesse. Welche genaue Rolle die individuelle Bakteriengemeinschaft für die Gesundheit ihres Trägers spielt, wissen die Forscher noch nicht genau. Aber die Nase ist generell stark am Infektionsgeschehen im Körper beteiligt. "Wir fassen uns häufig an die Nase und verteilen dann die Bakterien mit den Fingern überall", erklärt er.

Besonders im Blick haben die Forscher dabei die Staphylococcus-aureus-Stämme, deren Antibiotika-resistente Vertreter als Krankenhauskeim MRSA bekannt geworden sind. Der überraschende Befund: Etwa 20 bis 30 Prozent der Menschen tragen diese Keime in ihrer Nase. Die meisten, ohne dass sie es wissen.

"Meist verursachen sie keine Symptome, doch wenn sie in offene Wunden gelangen, kann das sehr problematisch werden", sagt der Forscher. Außerdem entwickeln Staphylococcus aureus zunehmend Resistenzen gegen Antibiotika und sind für ein großes Spektrum von Infektionskrankheiten verantwortlich. Nach Piepers Einschätzung bildet die Nase des Menschen das wichtigste Reservoir für den potenziellen Krankheitserreger. Dass diese Keime dort leben, sei aber nicht ungewöhnlich. Selbst bei ethnischen Gruppen mit geringem Kontakt zu moderner Zivilisation finden Forscher Staphylococus aureus auf der Nasenschleimhaut.

Vielleicht tragen unsere Mitbewohner in der Nase auch dazu bei, dass der Mensch sich gegen schädliche Bakterien besser wehren kann. Andreas Peschel von der Universität Tübingen hat dort eine Substanz gefunden, die vielleicht die Grundlage für ein neues Antibiotikum werden könnte. Die Substanz heißt Lugdunin und kann sogar Bakterienstämme abtöten, die gegen andere Medikamente resistent sind, wie beispielsweise der MRSA. Der Hoffnungsträger wird von Staphylococcus lugdunensis gebildet. Die Forscher vermuten, dass diese Bakterienart sich dadurch vielleicht einen Standortvorteil verschaffen kann und sich gegen Mitkonkurrenten um den Platz auf der Nasenschleimhaut zur Wehr setzt.

Doch die genaue Bedeutung der Bakteriengemeinschaft für Krankheiten des Nasen- und Rachenraums bleibt trotz der Ergebnisse unverstanden. Piepers Studie mit 70 Teilnehmern sollte die Ursachen der Rhinosinusitis untersuchen, einer chronischen Entzündung der Schleimhäute und der Nasennebenhöhlen. Die Infektionsforscher hatten vermutet, dass diese Erkrankung mit einer Besiedlung der Schleimhäute durch andere Bakterienstämme einhergeht. Sei es als Auslöser oder als Folge der Krankheit. Deshalb sammelten Hals-Nasen-Ohren-Ärzte an der Universitätsklinik Münster Proben von Patienten, die wegen Rhinosinusitis operiert werden mussten, und identifizierten die Bakterien darin. Doch der Vergleich mit Gewebeproben von gesunden Menschen, die aus anderen Gründen an der Nase operiert werden, erbrachte keine Auffälligkeiten.

"Wir wissen noch viel zu wenig über die Rolle der Mikro-Organismen, die den Menschen bevölkern", sagt Dietmar Pieper. Das gilt nicht nur für die Nase. Etwa 100 Billionen Bakterien leben auf und in unserem Körper, zusammen bringen sie eineinhalb Kilo auf die Waage. Allein im Darm leben etwa 1400 verschiedene Bakterienarten in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz mit dem Menschen. Pieper rät zur Gelassenheit und dazu, die winzigen Untermieter nicht als Feind zu verstehen. Denn vermutlich üben die allermeisten Mikro-Organismen einen schützenden Einfluss aus - entscheidend ist wohl die richtige Mischung.

Deshalb verfolgt das Zentrum für Infektionsforschung gemeinsam mit dem Kinderspital der LMU München in einer Langzeitstudie (Löwen-Kids) den Aufbau des Immunsystems beim Menschen. Eltern sollen mehrmals im Monat Nasenabstriche und Stuhlproben ihrer gesunden Kinder einsenden. Die Forscher bestimmen dann die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften in Nase und Darm und verfolgen, wie diese sich bei Erkältungen oder bei Durchfall verändern.

(rai)
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