Festival in Neuss Shakespeare ist ein Neusser

Neuss · Ein Vierteljahrhundert schon wird in Neuss Shakespeare gespielt. Vier Wochen lang im Juni und im maßstabgerechten Globe-Nachbau. Rund 260.000 Zuschauer feierten bisher das Festival.

 Der Nachbau des "Globe Theatre" in Neuss

Der Nachbau des "Globe Theatre" in Neuss

Foto: Shakespeare-Festival Neuss

Den Initiatoren tritt heute noch der Schweiß auf die Stirn, wenn sie davon erzählen, wie sie der Stadt Neuss vor 25 Jahren Kauf und Aufbau des Globe an der Rennbahn schmackhaft gemacht haben. Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, heute NRW-Kulturstaatsminister a.D., damals Neusser Stadtdirektor und Kulturdezernent in Personalunion, hatte mit einem kleinen Haufen verwegener Neusser den Kaufpreis von 1,5 Millionen Mark für den maßstabgerechten Nachbau des Shakespeare-Theaters, der ungenutzt in Rheda-Wiedenbrück herumstand, zwar runterhandeln können. Aber knapp 640.000 Mark mussten immer noch bewilligt werden. Unter "Folgekosten" war schlicht "keine" in der Ratsvorlage vermerkt — was vermutlich nicht alle Stadtverordneten geglaubt haben, denn der Kauf wurde mit nur einer Stimme Mehrheit beschlossen.

Rund 600 Vorstellungen (von 300 Inszenierungen) später hat sich dieser Mut ausgezahlt. Seit dem ersten Festival 1991 (mit nur einer einzigen Inszenierung) haben 130 Compagnien aus England, Frankreich, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Schweden, Israel, Spanien, Italien, den USA, Indien, Afghanistan, Brasilien, Simbabwe, Ungarn, Russland, Polen, Georgien, Japan, Korea, Hongkong und natürlich Deutschland ihre Produktionen vor insgesamt 260.000 Zuschauern im Globe gezeigt. Und wenn heute das 25. Shakespeare-Festival zu Ende geht, wird ein neuer Besucherrekord geschrieben: Knapp 15.200 Karten sind verkauft worden, die Auslastung für 29 Vorstellungen liegt bei 94 Prozent. Obwohl Festivalleiter Rainer Wiertz den Besuchern einiges zugemutet hat.

Festival in Neuss: Shakespeare ist ein Neusser
Foto: dpa, Schnettler

Denn so im Unklaren wie jetzt zum Jubiläum hat er sein Publikum bisher noch nie gelassen, als er das Programm vor drei Monaten vorstellte. Von den 13 eingeladenen Aufführungen hatten nur drei damals schon Premiere gehabt, sieben waren erst beim Festival zum ersten Mal in Deutschland zu sehen, und drei erlebten überhaupt erst in Neuss ihre Premiere. Ein großes Wagnis, sagt Rainer Wiertz selbst, aber der Vertrauensvorschuss der Zuschauer ist so groß, dass die Karten in Massen weggingen.

Über die Jahre hat sich nicht nur ein Stammpublikum gebildet, sondern auch herumgesprochen, dass in Neuss Shakespeare-Theater gezeigt wird, das sonst nicht zu sehen ist. Aus Brasilien zum Beispiel, wo sich eine freie Theatertruppe des Dramas "Hamlet" angenommen und es in die Favela verlegt hat. Das temperamentvolle Spiel steckte jeden Zuschauer an, auch wenn er kein Wort verstand. Im Globe ist alles möglich, und alles funktioniert. Ob mit Musik wie bei dem wunderbaren Abend mit Schauspieler Dominique Horwitz, seinem "Sommernachtstraum!" und der Lautten Compagney oder als reines Sprechtheater wie bei der witzig-charmanten Version der Komödie "Wie es euch gefällt" auf Katalanisch. Allein die Atmosphäre in diesem besonderen, rund 500 Besucher auf drei Etagen fassenden Rundbau macht selbst Enttäuschungen wie jene über einen konventionellen "Macbeth" des renommierten Regisseurs Guy Retallack erträglich.

Fast jede Vorstellung lässt das Globe, eine reine Holz- und Stahlkonstruktion, erbeben. Denn längst gehört es zur Tradition, den Beifall nicht nur mit Händen, sondern auch mit trampelnden Füßen zu spendieren. Und seit das Globe vor sechs Jahren generalüberholt wurde, bleiben die auch trocken. Vorher tropfte es bei sommerlichem Gewitteregen durchs undichte Dach auf die Bühne und in die ersten Reihen.

Die Investition lohnt sich für Neuss. Denn die Stadt stellt zwar das Globe und die Arbeitskraft der Kulturamtsmitarbeiter, aber die Kosten von rund 400.000 Euro pro Festival kommen ausschließlich über den Kartenverkauf (280.000 Euro), die in Eigenregie betriebene Gastronomie (30.000 Euro) und das Sponsoring der Freunde des Globe (knapp 100.000 Euro) wieder rein. So bekommt Neuss mit einem vergleichsweise geringen finanziellen Aufwand ein Marketing-Instrument, das die Stadt weit über ihre Grenzen hinaus in der Bundesrepublik bekannt macht.

Mit viel Gespür für die Erwartungen des Publikums, aber eben auch einer gewissen Risikobereitschaft hat Rainer Wiertz in 25 Jahren das Profil des Festivals geschärft. Für die Jubiläumsausgabe hat er sich gar einen Traum erfüllt und zum ersten Mal eine Produktion in Auftrag gegeben. Dank der finanziellen Unterstützung des Landes NRW trägt die Inszenierung "Measure for Measure" des Engländers Dan Jemmett das Label "Made for Neuss" und zieht nun von der Rennbahn aus in alle Welt.

Am liebsten würde Wiertz das im nächsten Jahr wiederholen, aber ob das klappt, steht noch in den Sternen. Ein Ziel jedoch will er bis zum Ende seiner Dienstzeit als Kulturreferent der Stadt Neuss in fünf Jahren erreichen: Alle Shakespeare-Stücke sollen bis dahin auf der Globe-Bühne zu sehen gewesen sein. Viele sind das nicht, die da noch fehlen. 38 Dramen hat Shakespeare geschrieben, gefühlt sind 35 schon in den 25 Jahren in Neuss gezeigt worden.

Seit die Bremer Shakespeare Company (BSC) 1991 als einziger Gast mit nur einer Inszenierung das "1. Shakespeare-Festival" bestritten hat, gehört sie zum Inventar. Sie zeigt keineswegs immer Shakespeare pur, sondern erarbeitet aus seinen Werken auch mal wie jetzt ein eigenes Stück und nennt es dann "Shakespeares Könige. Mord Macht Tod". Aber gerade an dieser Produktion zeigt sich auch das Dilemma, in dem die Programmplanung steckt. Die Zuschauer erwarten, dass Shakespeare drin steckt, wo Shakespeare drauf steht, und reagieren bei Anverwandtem eher zurückhaltend. Rainer Wiertz riskiert solche Unternehmungen trotzdem, hat so auch die Musik zumeist mit Rezitation im Festival etabliert.

Diese Kombination macht es auch möglich, große Namen nach Neuss zu holen. Klaus Maria Brandauer etwa kam mit dem Pianoduo GrauSchumacher und dem "Sommernachtstraum", Senta Berger mit der Capella Monacensis und den "Sonetten für die Dark Lady". Katharina Thalbach rezitierte Gedichte von und über Shakespeare, Jutta Lampe las "Venus und Adonis".

Und kaum einer verlässt dieses Globe ohne den festen Willen, wiederzukommen. Mancher Zuschauer will schon jetzt Karten für das nächste Jahr reservieren. Was natürlich nicht geht, denn bislang steht nur der Monat fest: Juni. Auch wenn dann Fußball-EM ist. Verschoben wird das Festival für den Fußball jedenfalls nicht. Es sei denn, eine EM und erst recht eine WM fände in Deutschland statt.

(RP)
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